"Wir versuchen, den Armen zu dienen und sind eine Stimme für sie."

Kardinal Luis Tagle

Eine Stimme der Gerechtigkeit

Interview: von Ines Schaberger
5 min Lesedauer

Die Philippinen sind das größte katholische Land Asiens. Kardinal Luis Antonio Tagle war von 2011 bis 2019 Erzbischof der Erzdiözese Manila. Nun gilt er als möglicher Nachfolger von Papst Franziskus. In der allewelt erzählte er 2019, wie er den Armen eine Stimme gibt und den Mächtigen ins Gewissen redet.

Mit Witz und seinem ansteckenden Lächeln gewinnt er rasch die Sympathien des Publikums – Luis Antonio Tagle wurde von Medien einst schon mal als „Franziskus von Asien“ bezeichnet. 2012 noch von Papst Benedikt XVI. zum Kardinal ernannt, gilt er als Stimme des größten katholischen Landes in Asien und wird nun als „papabile“ gehandelt. In diesem Interview aus dem Jahr 2019 spricht er über die Rolle des Glaubens in seiner Heimat und die damit verbundenen Herausforderungen.

Welche Rolle spielt die Kirche auf den Philippinen?

Von 110 Millionen Filipinos sind rund 82 Millionen Katholiken. Die Kirche ist sehr präsent in der Gesellschaft – nicht nur durch die Bischöfe und Priester, sondern auch durch die Familien! Die ältesten Schulen, Spitäler und Versorgungseinrichtungen sind kirchlich. Die Sorge um die Armen hat eine lange Tradition.

Sie haben einen guten Überblick über die aktuelle Situation der Weltkirche. Wie unterscheidet sich die Kirche in Europa von der auf den Philippinen?

In Europa nehmen die Geburtenzahlen ab und die Lebenserwartung steigt. Es gibt nur wenige junge Menschen in den Kirchen. Im Unterschied leben auf den Philippinen viele junge Christinnen und Christen, das Durchschnittsalter ist 23 Jahre. Viele gut ausgebildete Philippinos suchen außerhalb ihres Landes Arbeit und kommen beispielsweise nach Europa. Als Entwicklungsland suchen wir Wege, wie wir uns selbst erhalten können.

Dazu arbeiten Sie auch mit Missio zusammen. Wie würden Sie diese Partnerschaft beschreiben?

Ich schätze den Respekt, den Missio den Projekten vor Ort entgegenbringt. Missio will uns Werte und Visionen nicht von außen überstülpen, sondern respektiert, was die lokalen Gemeinschaften sagen und welche Lösungsvorschläge sie bringen. Gleichzeitig legt Missio Standards fest, die uns weiterbringen und neue Fähigkeiten fordern. Es handelt sich um eine wirkliche Partnerschaft, die mehr ist als bloße Versorgung.

Die Philippinen sind als Paradies für Pädophile bekannt. Frauen und Kinder werden vielfach als Sexualobjekte gesehen. Was tut die Kirche, um sexuellen Missbrauch zu verhindern?

Wir müssen demütig zugeben, dass es diese Fälle gab und gibt und in der Vergangenheit unsere Reaktion nicht angemessen war, weil wir die Tragweite von Pädophilie nicht ausreichend verstanden haben. Als Bischöfe haben wir uns fortgebildet und Richtlinien an den Vatikan geschickt, wie wir mit Beschwerden umgehen. Auch um die Vorbeugung sexuellen Missbrauchs müssen wir uns kümmern: Wie können wir eine Kultur schaffen, in der Kinder, Frauen und verletzliche Personen nicht missbraucht, sondern begleitet werden? In dieser Frage, und auch, wenn es um Korruption geht, braucht es eine Veränderung der Gesinnung und Herzensbildung.

Die politische Situation auf den Philippinen ist immer wieder angespannt. Wie viel redet die Kirche bei politischen Entscheidungen mit?

In der Geschichte der Philippinen gab es immer eine enge Verbindung zwischen Kirche und Regierung. Diese lief aber nicht immer glatt, schon in den spanischen Kolonialzeiten nicht. Wir müssen auch die Unabhängigkeit der Regierung respektieren. Wir versuchen, den Armen zu dienen und sind eine Stimme für sie, für Gerechtigkeit und Wahrheit. Ich habe viele Möglichkeiten, die Position der Kirche klar zu machen: Predigten, Pastorale Briefe und so weiter. Es geht mir nicht darum, die Regierung aktiv zu attackieren, sondern Gewissensbildung zu fördern.

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