"Nicht ich vergebe, das tut Gott."

Jacques Mourad

Den Islamisten entkommen

 

Interview: von Christoph Lehermayr
9 min Lesedauer

Als syrisch-katholischer Mönch geriet Jacques Mourad in die Geiselhaft des IS. Er erlebte Ärgstes, bevor ihm die Flucht gelang. Nun spricht er als Erzbischof von Homs über die Hintergründe des Syrien-Kriegs und sagt, warum die EU mit ihren Sanktionen längst auf dem Holzweg ist.

Wieso gerade er? Jacques Mourad widmete sein ganzes Leben dem Gebet und der Freundschaft zu den Muslimen. Doch am 21. Mai 2015 drangen zwei IS-Dschihadisten ins Kloster Mar Elian in Syrien ein und entführten ihn. Es folgten fünf Monate der Gefangenschaft, der Folter – und, dank der Hilfe von Muslimen, seine Flucht. Seit 2023 ist er Erzbischof in Syriens drittgrößter Stadt Homs und spricht offen über das Leid seines Volkes und Europas Versagen.

Sie waren ein Gefangener des IS, sind einer der Wenigen, die das überlebten und davon berichten können. Wer sind diese Dschihadisten?

Viele, die in Syrien aktiv wurden, kamen aus dem Ausland, aus Tschetschenien, dem Kaukasus, Nordafrika, aber auch Europa. Parallel veränderte sich im Vorfeld des Krieges die Lage in Syrien. Syrer, die in den Golfstaaten, besonders Saudi-Arabien, gearbeitet hatten, kehrten beeinflusst vom dortigen Wahhabismus zurück. Dieser breitete sich langsam in Teilen unserer Gesellschaft aus, Mentalitäten änderten sich. Während wir mit den Eltern und Großeltern noch in großer Freundschaft gelebt hatten, verschlossen sich die Jungen all dem, was nicht radikal muslimisch ist. Der Glaube prägt uns alle in der Region. Entsprechend leicht fiel es muslimischen Fanatikern, ein Feuer zu entfachen.

In der Geiselhaft wurden Sie gefoltert, ständig mit Tod bedroht und zur Konversion aufgefordert. Wie gelingt es da zu vergeben?

Wie könnte ich nicht? Aber das tue nicht ich, das tut Gott. Vergebung bedeutet, Gott einen Platz in unserem Herzen zu geben, damit er in uns vergibt. Nicht wir selbst sind dazu in der Lage. Alles, was wir können, kommt von Gott. Das zu erkennen, verlangt Demut. Nur die Liebe allein kann das Böse besiegen. Meine islamistischen Henker haben mir nach dem Leben getrachtet, aber es blieb mir, weil es gerade muslimische Freunde waren, die ihr eigenes Leben riskierten, um meines zu retten.

2011 begann der Syrien-Krieg. Islamisten beherrschten bald große Teile des Landes. Nun, tausende Tote später, steht es wieder meist unter Kontrolle der Regierung. Worum ging es all die Jahre wirklich?

Nicht um das, was uns viele weismachen wollten. Syrien ist zu einem Schlachtfeld fremder Mächte geworden. Das Böse kämpft gegen das Böse. Wie bei so vielen Kriegen geht es ums Öl, um Geld, um Waffen, um eine Form von Weltherrschaft. Man sieht das alles aktuell auch in der Ukraine. Etwas Großes, Abartiges braut sich da zusammen, falls wir nicht umkehren. Es gibt kein größeres Leid, als Opfer eines Krieges zu werden, als sein Land verlassen zu müssen, um irgendwo ein Fremder zu sein.

Ein im Westen häufig wiederholter Vorwurf lautete, Syriens Christen hätten zu nahe am Regime von Machthaber Assad gestanden. Zurecht?

Die Kirche hat die Stimme von Gottes Wille zu sein, die Stimme der Gerechtigkeit. Sie hat nicht die eine oder die andere Seite zu wählen, sondern sie soll dort sein, wo die Menschen sind. Alle Menschen. So ist meine Art zu denken.

So viele Christen haben Syrien in Folge des Krieges und der Verfolgung verlassen. Was brauchen die, die noch geblieben sind?

Hoffnung! Dieses eine große Wort. Nicht, weil wir hungern und nichts mehr haben, auch wenn beides stimmen mag, sondern weil uns jede Zuversicht fehlt. Das ist unsere Aufgabe als Kirche. Wenn nicht wir die Hoffnung in die Gemeinschaft bringen, ist es vorbei. Wir Priester werden auf Arabisch „Abuna“ genannt, das heißt „unser Vater“, und das wollen wir auch sein: Väter für alle. Viele Christen, die gingen, taten das nicht aus freiem Willen, sondern weil sie alle Hoffnung verloren hatten. Doch die Wirtschaftssanktionen der USA und der EU nehmen uns Verbliebenen jede Luft zum Atmen. Es ist nicht einmal erlaubt, Gelder nach Syrien zu schicken, es fehlt an allem, zwei von drei Menschen hungern. Die Lage ist an vielen Orten schlimmer als während des Krieges.

Was kann Europa tun, um die Lage zu verbessern?

Es würde helfen, ein Stück weit unsere Sicht der Dinge einzunehmen und festgefahrene Denkmuster zu verlassen. Europa muss die Beziehung zu unserer Regierung wieder aufnehmen. Natürlich unter klaren Bedingungen, die etwa zulassen, dass unsere Leute in Würde heimkehren können, dass die Pflicht zum langjährigen Militärdienst fällt. Das alles wäre eine Verhandlungsbasis und ein Schritt, der die Lage bessern kann.

Viele Politiker in Europa würden antworten, dass man mit Assad nicht verhandeln darf.

Aber so ist nun mal die Realität. Viele der arabischen Staaten, die im Krieg sogar Assads Gegner mit Waffen unterstützt hatten, setzten diesen Schritt bereits. Deren Weg war also viel weiter und schwerer. Worauf wartet Europa? Erst tat es nichts, um den Krieg in unserer Region zu stoppen und nun? Sind wir euch so egal? In Syrien gab es das Sprichwort: Wenn es deinem Nachbarn gut geht, dann geht es dir gut. Europa ist unser Nachbar. Wir alle sitzen im selben Boot, wie Papst Franziskus sagt. Es ist immer möglich, Lösungen zu finden, wenn man es nur will, immer.

Künstler aus aller Welt: Diesmal aus Äthiopien

Wechselnde Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt gestalten das Porträt auf dieser Seite. Diesmal tut das Kaleab Birhanu aus Äthiopien. Schon in der Schule zeichnete er erfundene Figuren in seine Bücher. Das Geschichtenerzählen wurde so zu seiner Passion. „Für den Bischof wählte ich einen mutigen und präzisen Stil. Ich möchte die Macht der Vergebung und des Loslassens zeigen und zum Ausdruck bringen, dass nur das einen Menschen wirklich frei macht.“

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