Versöhnte Feinde
Das kleine Land Ruanda steht bis heute für eines der größten Verbrechen
der Menschheit. 1994 starben beim Völkermord innerhalb weniger Monate fast eine Million Menschen. Hutus töteten damals Tutsis und oft waren dies die eigenen Nachbarn. Doch Versöhnung ist möglich, wie die Geschichte von Frida und Jean-Baptiste beweist.
Kann es Frieden zwischen früheren Feinden geben? Was aktuell mit Blick auf die Kriege in Israel oder der Ukraine unwirklich scheint, lässt sich im ostafrikanischen Ruanda lernen. Verantwortlich dafür ist die Arbeit der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der Bischofskonferenz. Überall im Land haben sie Täter und Opfer – zuerst für sich und dann gemeinsam – zusammengeholt und Versöhnung gelehrt und geübt. Frida und Jean-Baptiste engagieren sich gemeinsam in einer dieser Gruppen und sprechen nun über das Unvorstellbare.
Woher kennt ihr euch?
Jean-Baptiste: Ich habe Fridas Familie getötet. Ich bin mit einer Miliz auch zu ihr gegangen, um sie zu töten. Sie hat uns ihre Kuh gegeben und wir haben sie leben lassen. Aber noch Jahre später, als ich wegen des Genozids im Gefängnis saß, habe ich Frida als meine Feindin wahrgenommen und mir überlegt, wie ich sie umbringen würde, wenn ich wieder freikäme.
Frida: Heute ist Jean-Baptiste ein guter Mann. Damals waren er und seine Kumpane wie wilde Tiere. Er war eine große Persönlichkeit in seiner Miliz, immer bewaffnet bis an die Zähne – mit Gewehr und einem Gürtel voller Granaten. Sie hatten Hämmer, Messer, Macheten. Und Knüppel, in die Nägel eingeschlagen waren. Sie haben damals gesagt: Man muss seinem Feind nichts anderes geben als diesen Knüppel.
Wie kann das passieren, dass man zu einem Täter in einem Völkermord wird?
Jean-Baptiste: Ich habe einfach getan, was mir gesagt wurde. Für mich war das damals das normale Leben, ich fand das nicht schlimm. Wir haben die Tutsi gejagt. Ich habe Straßensperren aufgebaut, um auch alle zu finden. Wenn ein Tutsi vorbeikommt, bringe ich ihn um, habe ich mir vorgenommen. Wenn ich kein Gewehr hatte, hatte ich Granaten verwendet. Wir hatten immer genug Waffen, wir wurden gut versorgt von unseren Autoritäten. Ich hatte ab 1990 ein dunkles Leben. Bis 1994 wurden wir darauf vorbereitet, Tutsi zu töten.
Ihr wirkt jetzt sehr vertraut, wie enge Freunde – das muss ein langer Weg gewesen sein?
Frida: Was mein Herz verändert hat, war die Begegnung mit der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden. Ohne sie hätte es nie Frieden gegeben. Wir waren vorher wie lebendige Tote.
Jean-Baptiste: Ich habe beim Tribunal alles offengelegt, was ich getan habe. Und bin dann freigekommen. Ich wurde von meinem Dorf gut aufgenommen, weil ich die Wahrheit gesagt hatte. 2006 wurden wir als Opfer und Täter eingeladen, Teil der kleineren Gruppen der Kommission zu werden. In diesen Gruppen konnten wir uns den Gräueltaten stellen und einen Weg der Versöhnung gehen. Da ist mein Herz weich geworden. Jetzt leben wir in Harmonie miteinander. Ich bin der katholischen Kirche sehr dankbar, dass sie sich da aller angenommen hat. Ich selbst bin kein Katholik. In diesen Gruppen sind wir alle gemischt. Christen verschiedener Konfessionen, Muslime.
Frida: Als ich Jean-Baptiste begegnet bin, habe ich gemerkt, dass er die Wahrheit sagt, dass er nichts verbirgt. Er hat uns gezeigt, wo sie die Leichen hingeworfen hatten. Ich war Teil seines Tribunals. Ich hätte das nie gekonnt, wenn ich nicht vorher durch die Kommission vorbereitet worden wäre. Ich habe Jean-Baptiste dann sogar geholfen. Eigentlich hätte er zur ersten Kategorie der Täter gehört, denen, die den Genozid geplant haben. Ich habe gefragt: „Warum habt ihr ihn in die erste Kategorie eingeordnet? Er ist keine Autorität.“ Er wurde dann in die zweite Kategorie gestuft, zu elf Jahren verurteilt und nach sieben Jahren begnadigt, weil er die Wahrheit gesagt hatte. In der ersten Gruppe wäre er nicht mehr freigekommen.
Gibt es viele Menschen mit eurer Geschichte?
Frida: Als ich Jean-Baptiste darauf angesprochen habe, ob wir nicht gemeinsam eine Kommissionsgruppe gründen wollten, haben die Leute bei uns gefragt, ob wir noch normal seien? Ich habe Jean-Baptiste aufgefordert, andere aus dem Gefängnis Entlassene zu bitten, in unsere Gruppe zu kommen. Und ich habe weitere Opfer des Genozids gebeten, sich uns anzuschließen. Am Anfang waren sie sehr zurückhaltend und haben gefragt: „Von welcher Volksgruppe sind die Menschen, die zu dieser Kommission gehören.“ Ich habe nur geantwortet: „Es sind meine Brüder.“ Viele der anderen Überlebenden sind dann diesen Weg der Versöhnung mit den Tätern gegangen. Inzwischen sind wir so weit, dass unsere Kinder wieder untereinander heiraten.
Künstler aus aller Welt: Diesmal aus SPANIEN
Wechselnde Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt gestalten das Porträt auf dieser Seite. Diesmal tut das Eva Carballeira aus A Coruña in Galicien. Schon als Kind begeisterte sie das Zeichnen und Malen, später erwarb sie ihren Kunstabschluss in Madrid und studierte auch in Paris. Von Fridas und Jean-Baptistes Geschichte war sie sofort angetan. „Ich verwende eine große Sonne als Symbol der Freude und des Vertrauens, um diesen gewaltigen Akt der Versöhnung zwischen den beiden zu illustrieren, dazu die Taube als Ausdruck des Friedens“, sagt sie. „Mit meinen typischen losen Pinselstrichen versuche ich, die Psychologie der Charaktere zu reflektieren.“