Eine Pfarre aus Asche
Quer durch Nigeria verläuft die Scheidelinie zwischen Christentum und Islam. Die Terrorkrieger von Boko Haram verbreiten dort Angst und Schrecken. Einer, der das am eigenen Leib erfuhr, ist Father Solomon Saku. Nun schildert er, welche Folgen das hat und wie er dem Hass mit Liebe trotzt.
Einem Bombenanschlag im Haus eines befreundeten Pfarrers entkam Father Solomon einst nur um Haaresbreite. Der heutige Direktor von Missio Nigeria stammt direkt aus der Region, in der Boko Haram (übersetzt: Westliche Erziehung ist Sünde) wütet. Seit 2015 töteten die Islamisten 12.000 Christinnen und Christen und trieben Millionen in die Flucht. Zuletzt nahm die Welt nach einem Anschlag zu Weihnachten kurz vom Grauen in Nigeria Notiz.
Father Solomon, wie sehen Sie die jüngste Gewalt an Christen in ihrer Heimat?
Wir Christen werden hier schon länger verfolgt und diese Verfolgung nimmt ganz unterschiedliche Formen an. Vor Boko Haram war es schon so, dass du als Christ nur schwer einen Studienplatz bekommen hast. Die Angriffe, bei denen an Heiligabend in Zentralnigeria etwa 150 Menschen sterben mussten, wurden allerdings von Banditen und Viehhütern verübt. Dabei wurden viele Gebäude niedergebrannt und eine humanitäre Krise ausgelöst. Es fehlt an Unterkünften, Nahrung und medizinischer Versorgung.
Erleben Sie die Weltkirche dabei sehr solidarisch?
Wir sind froh, dass der Papst uns an Silvester erwähnt hat! Sonst ist es überraschend für uns, dass nachdem so viele Unschuldige, besonders Frauen und Kinder, getötet wurden, der Aufschrei der Welt kaum zu vernehmen war.
Woher kommen Sie selbst genau?
Aus der Diözese Maiduguri, ganz im Nordosten Nigerias. Die Diözese ist riesig, sie umfasst mehrere Bundesstaaten. Christinnen und Christen machen dort weniger als zwei Prozent der Bevölkerung aus. Ich wurde dort 2010 zum Priester geweiht. 2009 hat Boko Haram angefangen, unsere Kirchen anzugreifen.
Wie hat das konkret ausgesehen?
Einmal habe ich bei einem Angriff an einem einzigen Tag 67 Mitglieder meiner Gemeinde verloren. Ich bin erst acht Monate nach diesem Angriff nach Hause zurückgekehrt. Alles war zerstört oder geplündert. Wir sind 180 Kilometer weit in die nächste Diözese Yola geflohen. Wir waren dort 22 obdachlose Priester, deren Pfarren zerstört worden waren, und sehr viele Flüchtlinge. Der Bischof von Yola hat uns herzlich aufgenommen. Wir haben in seinen Pfarren ausgeholfen und Messen für die Flüchtlinge gefeiert.
Wie ist es dann weitergegangen?
Nachdem die Regierungstruppen das Land zurückerobert hatten, sind die Menschen nach Hause zurückgekehrt. Dort war alles zerstört. Der Bischof hat mich gebeten, wieder in meine alte Pfarre zu gehen, um den Gläubigen Hirte zu sein. Also bin ich gegangen. Bei einem weiteren Priester hatten sie nicht alles niedergebrannt, nur stark beschädigt. Dort konnten wir unterkommen. Als ich in mein eigenes Zuhause zurückkam, hatte dort nur noch ein halbverbranntes Foto an der Wand den Angriff überstanden. Meine ganze Pfarre bestand nur noch aus Asche.
Wie behält man bei so viel Ungerechtigkeit und Leid die Hoffnung?
Das Interessante ist: In dieser Zeit wurde der Glaube der Menschen stärker. Irgendwann war alle Angst weg. Ich wusste, jeden Moment könnte Boko Haram kommen, aber ich war bereit, für Jesus zu sterben. Es sind mehr Menschen in die Kirche gekommen, als es so gefährlich geworden ist. Sie hätten für Christus ihr Leben gegeben. Und wir haben auch echte Wunder erlebt: Einmal haben sie unsere katholische Bubenschule angegriffen. Alle 200 Schüler wollten in den Busch fliehen. Als sie auf die Mauer zuliefen, die das Seminar umschließt, ist sie einfach eingestürzt, wie die Mauern von Jericho. So konnten sie weglaufen. Ein Lehrer, der im Rollstuhl saß, war der Einzige, der zurückgeblieben ist. Sie haben ihn gefragt: „Wo sind die Kinder?“ Er hat es ihnen nicht gesagt. Sie haben alles niedergebrannt, aber ihn am Leben gelassen. Ein Jahr später ist er am Trauma gestorben. Die Kinder haben alle überlebt, aber die Schule war drei Jahre lang geschlossen.
Wie liebt man seine Feinde?
Das ist der schwierigste Auftrag des Christentums. Und der beste. Das Böse besiegt man nur durch Liebe und Gebet. Das ist meine persönliche Erfahrung. Als wir acht Monate nach dem Überfall durch Boko Haram nach Hause zurückkehrten, mussten wir Seite an Seite auch mit den Muslimen leben, die uns verraten oder unsere verlassenen Häuser ausgeplündert hatten. Nachdem wir uns dort wieder niedergelassen hatten, kam der Bischof von Yola mit Hilfsgütern zu uns. Er brachte Essen und Medikamente. Wir haben die Menschen gebeten, zur Kirche zu kommen, um alles an sie zu verteilen. Da sind auch Muslime gekommen. „Gebt ihnen nichts“, haben die Christen gerufen. Wir haben sie trotzdem mitversorgt. „So können wir uns nicht benehmen“, haben wir geantwortet: „So handeln wir nicht.“ Das hat auch die Haltung der Muslime uns gegenüber geändert. Inzwischen ist es so, dass alle Menschen in Nigeria den Bischof von Yola kennen. Und wenn reiche Muslime Essen spenden wollen, geben sie es ihm, weil sie wissen, er verteilt es gerecht.
Künstler aus aller Welt: Diesmal aus der Ukraine
Wechselnde Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt gestalten das Porträt auf dieser Seite. Diesmal tut das Anastasiia Kurtukova aus der Ukraine. Ihre Leidenschaft galt immer schon den Menschen. „Zeichnet man sie, geht es nicht nur darum, ihr Abbild zu vermitteln, sondern um ihre innere Welt und die Energie, die sie ausstrahlen.“ Als Künstlerin lebt und arbeitet sie in der Stadt Dnipro, die häufig zum Ziel russischer Angriffe wird. „Ich weiß daher, dass Menschen wie Father Solomon, die das innere Licht und die Hoffnung bewahren und denen es gelingt, dies in die Welt hinauszutragen, unsere Zukunft sind.“