Die Menschen vor Ort sind viel erfinderischer als wir.

Doris Kleffner

Für Hilfsorganisationen ist es heute gefährlicher

Interview: von Anne Fleck
8 min Lesedauer

Es ist eine der drängendsten Fragen der Menschheit: Kann Armut
wirklich besiegt werden? Und leisten Hilfsorganisationen von der UNO
bis zur Kirche wirklich ihren Beitrag dazu? Doris Kleffner, jahrelang
Entwicklungsexpertin bei der UNO, mit einem verblüffend ehrlichen Resümee.

Was die Kirche und die Vereinten Nationen an den gefährlichsten Orten der Welt leisten können und wo ihre Begrenzungen liegen, hat die erfahrene deutsche Entwicklungshelferin mit eigenen Augen gesehen – in Afghanistan während der Invasion
der Sowjetunion 1989, in Ruanda nach dem Genozid und in Liberia während des Bürgerkrieges.

Wie kann man es an solchen Orten aushalten?

Man hört davon und denkt: „So schlimm!“ Aber wenn man dort ist, ist es immer viel differenzierter. Es ist manchmal hart, aber es ist auch schön und wenn es nur schwer wäre, würde es keiner machen.

Sie haben sich freiwillig in große Gefahr begeben.

Heute werden auch Hilfsorganisationen angegriffen. Das war früher tabu. Es ist gefährlicher geworden.

Was war das Schwerste an Ihrer Arbeit?

Sicher das, was ich in der Zentralafrikanischen Republik erlebt habe: Man kann vernünftige Entwicklungsprojekte machen, wie man will, es bringt nichts, wenn ein korrupter Staat dazwischengrätscht. Wir hatten eine Schule gebaut, dann wurden wir erpresst, denn der Staat wollte Schmiergeld für die Einweihung.

Kann man in so einem Land trotzdem helfen?

Wir haben dort dann ganz einfache Sachen gemacht. Nothilfe für besonders bedrängte Menschen. Da kann man wenig falsch machen. Je mehr man an der Basis arbeitet, desto einfacher geht es. Wenn Sie als Kirche oder kleine NGO wo hingehen, kann ich mir ein Projekt aussuchen. Sich Projekte gezielt auszusuchen, erhöht die Erfolgschancen, gerade wenn man lang dort sein kann. Wir als UNO können das nicht. Wir müssen in einem begrenzten Zeitraum landesflächendeckend das Gleiche für alle machen. Dadurch haben wir weniger Übersicht und viel mehr Arbeit mit staatlichen Strukturen. Für große Ernährungsprojekte zum Beispiel brauche ich Strukturen, ein Ministerium oder einen starken Bischof. Wenn man auf staatliche Strukturen angewiesen ist, trifft man aber eben auch auf Korruption – das lässt sich nicht vermeiden.

Wie ist der Kontakt der UNO zur Kirche?

Neben uns waren brasilianische Schwestern. Die leiteten eine Schule, das war eine ganz heile Welt mit Häkeldeckchen. Die waren total auf sich gestellt. Wir vom UNHCR haben ein enges Nachrichtennetz. Die NGOs sind mit uns verbunden. Aber einzelne Orden sind da nicht drin. Wir haben den Schwestern dann zum Beispiel von unserem Stacheldrahtzaun abgegeben. Ich habe immer gehofft, dass sie von ihrem „Hauptquartier“ die gleiche Unterstützung bekommen wie wir von unserem. Bei uns dürfen nur Leute mit Felderfahrung im Hauptquartier sitzen, sonst verstehen sie die Lage vor Ort nicht.

Wie kann man verhindern, dass Projekte hinterher im Sand verlaufen?

Das Wichtigste ist, wie viel die Menschen selbst beitragen. Die Involvierung in jeden Schritt. Sie müssen auch materiellen Einsatz bringen. Und man muss sich Sicherheit bei den Autoritäten verschaffen. Wenn man nicht zuerst beim Bürgermeister oder Präfekten war, kann das schiefgehen. Also alles transparent machen und die Leute beitragen lassen, so viel sie können. Und immer schauen: Wollen die Menschen das wirklich? Und das ist ein langer Prozess! Mit ihnen sitzen und schauen: Wer repräsentiert sie wirklich? Bei mir waren es immer die älteren Frauen, die dann die Wahrheit gesagt haben.

Würden Sie sagen, die Arbeit der UNO ist eine Erfolgsgeschichte?

Das ist so verschieden. Man hat viele kleine Erfolge. Wir haben tolle Sachen gemacht in meinen 30 Jahren. Gerade für Flüchtlinge. Auch die Blauhelm-Soldaten haben schon viel geleistet. Wasserversorgung sichergestellt und Schulen eingerichtet zum Beispiel. Aber es ist nicht so einfach zu sagen. Meine ersten Monate in Liberia – da haben wir viele schöne Projekte umgesetzt, aber dann wurde alles von Rebellen überrannt. Haben die Menschen jetzt profitiert in der Zwischenzeit? Bestimmt auch. Es ist wie sonst auch im Leben: Man gibt sein Bestes und das ist es.

Sind Sie persönlich froh über das, was Sie gemacht haben?

Absolut! Wir haben Straßen gebaut. Ich fand das ein tolles Projekt. Die Menschen haben hart gearbeitet. Sie haben das Geld, das sie verdient haben, dann oft in Partys investiert. Es war nicht das Vorzeige-Entwicklungsprojekt. Aber sie haben gelernt, wie man eine Straße baut. Dabei waren jede Menge Kämpfer demobilisiert und in Arbeit. Andererseits wurden 200.000 Moskitonetze aus Deutschland geliefert und in Liberia verteilt. Eigentlich genau richtig. Aber die Leute haben die nicht benutzt. Die hatten Angst, dass sie dann nicht träumen können. Mir wurde später erzählt: „Wir haben die nach Guinea verkauft, die machen jetzt Fischernetze und Brautkleider draus.“ Da sieht man auch: Die Menschen vor Ort sind viel erfinderischer als wir. Da liegt eine große Stärke.

Künstler aus aller Welt: Diesmal aus Südafrika

Wechselnde Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt gestalten das Porträt auf dieser Seite. Diesmal tut das Kerry Moolman aus Südafrika. Obwohl sie schon als Kind „kritzelte“, war es nicht immer einfach für sie, aus ihrer Leidenschaft eine Karriere zu machen. „Am Porträt von Doris Kleffner zu arbeiten, war eine gute Herausforderung. Wie fängt man eine so unglaubliche Geschichte ein?“ Letztlich entschied sich Moolman, das Porträt hell, bunt und einfach zu halten, „um Frau Kleffners Botschaft von Verbundenheit und Hoffnung widerzuspiegeln.“

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