Wo die wilden Tiere wohnen
Eine über hundert Jahre alte Missionsstation und eine Fahrt ins Unbekannte führen im Nordwesten von Mosambik zu einer jungen Gemeinschaft, die alten Mauern spirituell und künstlerisch neues Leben einhaucht.
Reportage zum Anhören
Nicht gerade langsam holpert der Geländewagen über die sandige Piste dahin. Eine Stunde soll die Fahrt über die unbefestigte Straße bis zu unserem Ziel dauern, allerdings wird es langsam dunkel und die Lichter der Stadt haben wir bereits weit hinter uns gelassen. Vereinzelt tauchen am Pistenrand kleine Siedlungen auf, spärlich beleuchtet. Die Autoscheinwerfer enthüllen plaudernde Grüppchen und heimkehrende Arbeiter. „Diese Strecke ist nicht ungefährlich“, sagt unser Fahrer Peter leichthin, während er den Wagen um Löcher und Steinbrocken herum manövriert. „Nilpferde und Krokodile kommen manchmal aus dem Fluss hierher.“ Die Aussicht auf eine solche Begegnung in der Dunkelheit und die Tatsache, dass wir hier draußen keinen Handyempfang haben, machen die Autofahrt zu einem echten Abenteuer. Den gebürtigen Slowaken scheinen die Gefahren nicht sonderlich zu beeindrucken, ebenso wenig die herausfordernden Straßenverhältnisse. Mit seinem roten Geländewagen und einem kleinen Team aus Ärzten und Krankenschwestern ist Peter regelmäßig in abgelegenen Dörfern in der Region Tete, im Westen von Mosambik unterwegs. Seine mobile Klinik ermöglicht den Menschen Zugang zu einer medizinischen Basisversorgung. Heute wurde Peter vom Bischof der Diözese Tete beauftragt, die Besucher aus Österreich zu chauffieren. „Meine Schwester betreibt eine Tankstelle in Wien. Ich mag die Stadt“, sagt er und zeigt uns stolz den Aufkleber der namhaften Treibstoffkette auf seinem Auto. Nach dieser Enthüllung fühlen wir uns gleich verbunden (und vielleicht auch ein wenig beruhigter).
Das Heiligtum auf dem Hügel
Unsere Fahrt endet recht abrupt vor einem beinahe burgähnlichen Tor. Dahinter erwarten uns unsere Gastgeber. Da es bereits dunkel ist, erkennen wir nur die beleuchtete Kirche und das große Haus direkt daneben. Erst am nächsten Morgen offenbart sich unser Aufenthaltsort: Wir schauen von einem Hügel hinvor unter auf den Fluss, in dem angeblich so viele Nilpferde und Krokodile hausen. Es handelt sich um den Sambesi, Afrikas viertlängsten Strom. Ringsherum zeigt sich bei strahlend blauem Himmel eine Hügellandschaft in den schönsten Ocker- und Grüntönen. Was für eine Aussicht! Und was für ein Ort, um eine Kirche zu bauen. Das dachten sich womöglich auch die Jesuitenmissionare, die im Jahr 1885 die Missionsstation auf dem Hügel erbauten. Majestätisch thront die dem heiligen Josef geweihte Kirche über dem mächtigen Fluss und ist für die Menschen in der Gegend gut zu sehen. Umso mehr noch, als sie in fröhlichem Gelb strahlt.
Das ist der Gemeinschaft zu verdanken, die seit Anfang 2023 in Boroma wirkt. „Sementes do Verbo“, zu Deutsch „Samen des Wortes“, heißt sie und kommt ursprünglich aus Brasilien. Ihre Mitglieder sind geweihte Schwestern, geweihte Brüder, Priester und auch Familien. „Bischof Diamantino bat unsere Gemeinschaft, nach Boroma zu kommen und beim Wiederaufbau des Heiligtums São Jose zu helfen“, erzählen Schwester Maria Veronica und Schwester Deborah während sie uns über die Anlage führen. „Zuerst dachten wir, dass wir nach drei Monaten wieder weg wären, sobald die Kirche restauriert ist.“ Doch zur jesuitischen Mission gehören noch eine Schule und diverse andere Gebäude, die während des mosambikanischen Bürgerkrieges verlassen und teilweise zerstört worden waren. Die sollten ebenfalls zu neuem Leben erweckt werden. So wurden aus den drei geplanten Monaten ein paar mehr. „Uns haben die Arbeit und dieser Ort einfach so gut gefallen, dass wir bleiben wollten“, sagen die beiden jungen Brasilianerinnen im blauen Habit. Gut nachvollziehbar angesichts der Lage der Missionsstation, der vielen räumlichen Möglichkeiten und der herzlichen Menschen im Umland.
Von der Modewelt ins ländliche Mosambik
„Unsere Generaloberin musste gleich an mich denken, als sie mit Bischof Diamantino zum ersten Mal die heruntergekommene Kirche in Boroma sah“, sagt Schwester Deborah. „Ich male sehr gerne und sie wollte mich und zwei andere Schwestern unbedingt nach Mosambik schicken, damit wir unsere Fähigkeiten dort zum Einsatz bringen konnten.“ Für Schwester Deborah bedeutete dieser Auftrag einen riesigen Schritt ins Unbekannte. „Ich hatte erst im
Dezember 2022 meine Gelübde abgelegt. Ich war davor noch nie außerhalb Brasiliens und sollte als frischgeweihte Nonne gleich direkt nach Afrika gehen“, sagt die zierliche Ordensfrau mit den blauen Augen in beeindruckend akzentfreiem Englisch. Das hat sie mit Hilfe von englischsprachiger Musik und Fernsehserien gelernt. Eigentlich ist sie studierte Modedesignerin, daher die Liebe zum kreativen Gestalten. „Ich spürte schon länger, dass ich eine Berufung zum geweihten Leben habe, aber ich wollte dem Ruf nicht nachgeben. Gott hat immer andere Pläne mit uns und ich fand schließlich meine Berufung in der Gemeinschaft ,Semente do Verbo‘. Dass ich meine Mission in Afrika leben würde, habe ich mir im Traum nicht gedacht. Und ich kann jetzt schon sagen, dass die Zeit hier mein Leben verändert hat.“
Die innige Freude, die Schwester Deborah und ihre Mitschwestern ausstrahlen, wird in jeder Begegnung mit den Einheimischen und uns Gästen spürbar. „Wir lernen gerade fleißig die lokale Sprache Cinyungwe“, sagt die zweite unserer beiden Tourguides, Schwester Maria Veronica, lachend. „Die ist gar nicht so einfach.“ Und doch reichen schon wenige Worte, um den Frauen aus dem Dorf, denen wir auf unserem Weg über das riesige Gelände der Missionsstation begegnen, ein Lächeln zu entlocken. Mit großer Leichtigkeit und gleichzeitig
sehr viel Herzlichkeit scherzt die studierte Psychologin mit den Menschen. „Schaut, da werden gerade die alten Bewässerungsanlagen der Jesuiten renoviert. Die haben sogar Pools gebaut, um sich bei der Hitze abkühlen zu können, ohne in den Sambesi steigen zu müssen.“ Richtig, dort lauern ja Krokodile und Flusspferde. Angesichts der 40 Grad, die das Thermometer gerade zeigt, verstehen wir, weshalb die Missionare vorgesorgt hatten.
Was verändern, aber vorsichtig
Auf dem Rundgang sehen wir die ausgedehnten Felder und Pflanzungen rund um die Missionsstation. Vieles davon hat die Diözese an die Bewohnerinnen und Bewohner der umliegenden Dörfer verpachtet. „Früher gab es hier sogar eine Landwirtschaftsschule“, sagt Schwester Maria Veronica. „Leider ist viel von diesem Wissen verlorengegangen. Viele Familien, besonders die Kinder, sind unterernährt.“ Deshalb bietet die Gemeinschaft Kurse in Landwirtschaft, Ernährung und Kochen an. Eine Voraussetzung um teilnehmen zu dürfen: Die Kinder müssen in die Schule geschickt werden. „Das Bildungsniveau hier in Mosambik ist sehr niedrig, viele Kinder beenden nicht einmal die Grundschule“, erzählen die Schwestern. „Wir möchten nach und nach beginnen zu unterrichten. Aktuell darf das nur Schwester Maria Philomena, sie ist ausgebildete Lehrerin.“ In der Sekundarschule auf dem Missionsgelände hat der Staat Mosambik das Sagen. Das hält die Gemeinschaft und allen voran Schwester Maria Philomena nicht davon ab, ganz vorsichtig und wohl dosiert notwendige Änderungen, Modernisierungen und Anschaffungen für den Unterricht zu machen. Dazu gehören eine kleine Bibliothek, ein Computer-Raum und sogar ein Labor. „Wir wollen die Schülerinnen und Schüler mit ungewohnten Methoden und Materialien motivieren, in die Schule zu kommen und zu lernen“, sagt die gebürtige Kamerunerin, Schwester Maria Philomena. Auch ein Fernseher gehört zu ihrer Ausstattung und erfreut sich großer Beliebtheit bei den Mädchen und Burschen. Wir hoffen, dass der bei der Hitze besser funktioniert als unsere Technik. Den Kameras sind die 40 Grad Celsius zu viel. „Der Schulbetrieb ist mühsam, besonders weil wir uns nicht einmal auf unser Lehrpersonal verlassen können. Einige kommen oft längere Zeit einfach nicht.“ Schuld daran seien vor allem die niedrigen Löhne, sagt sie. Schritt für Schritt will die passionierte Lehrerin das kaum funktionierende mosambikanische Schulsystem verändern.
Verändern ist auch das Stichwort für die unzähligen leeren Räume, die gleich neben den Klassenzimmern liegen. Überall treffen wir Handwerker, an jeder Ecke gibt es eine Baustelle. „Hier kommt ein Restaurant hinein. Für die Besucher, die bald in größerer Zahl nach São Jose de Boroma kommen werden“, erklärt Schwester Maria Veronica. Noch wirken die kahlen Wände wenig einladend. Zumindest der Blick aus den Fenstern ist auch ohne Renovierung schon herrlich. Gut vorstellbar, dass dieser Ort bald zu einem beliebten Ausflugsziel werden könnte. Vor allem weil die fünf Schwestern und zwei Brüder der Gemeinschaft gemeinsam mit dem Bauteam der Diözese eine enorme Geschwindigkeit bei der Renovierung vorlegen. Eine Sache aber konnten sie bislang nicht restaurieren: die Turmuhr der Kirche St. Josef aus dem Jahr 1890, ein Fabrikat der Wiener Firma Schauer. Wie sie auf den Kirchturm im Westen Mosambiks gelangt ist, konnten wir nicht eindeutig feststellen. Wir versprechen den Schwestern aber herauszufinden, ob die Firma noch existiert und interessiert wäre, die alte Uhr wieder Instand zu setzen.
Ein Fest zum Abschied
Abgesehen davon, touristisch attraktiv zu werden, will Bischof Diamantino São Jose de Boroma vor allem als geistliches Zentrum wiederbeleben. Der mosambikanische Staat hatte die jesuitische Missionsstation in der Mitte der 1970er Jahre verstaatlicht. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurden die Gebäude stark vernachlässigt. Trotz großer Bedenken, vor allem finanzieller Natur, starteten bereits im Jahr 2021 auf Initiative des Bischofs von Tete die ersten Renovierungsarbeiten.
„Einige der Häuser, die ihr seht, werden demnächst angehende Katechistinnen und Katechisten beherbergen. Wir werden einjährige Katechisten-Ausbildungen anbieten. Außerdem haben wir im November ein großes Jugendfestival für die ganze Diözese veranstaltet. Es ist wunderbar zu sehen, wie viele Jugendliche für den Glauben brennen“, sagt Schwester Deborah. „Wir haben ein paar junge Frauen und Männer aus der Umgebung, die mit uns mitleben und ihre Berufung prüfen.“ Direkt neben den „Samen des Wortes“ hat sich eine weitere brasilianische Gemeinschaft auf dem Gelände der Missionsstation niedergelassen. In der „Fazenda da Esperança“ finden drogenabhängige junge Frauen Zuflucht und Hilfe.
Am Abend, so erfahren wir, kommt Bischof Diamantino und wird einige der Frauen taufen und firmen. Wir erleben, wie eng und fruchtbringend die beiden Gemeinschaften zusammenarbeiten. Obwohl die Messe erst nach Sonnenuntergang beginnt, steht im Inneren der Kirche noch immer die Hitze des Tages. Schwester Maria Philomena und ihr kleiner Chor scheinen davon unbeeindruckt, ihre Lieder klingen schwungvoll im freskenreichen
Gotteshaus. Alle Augen sind auf die Mädchen gerichtet, die – ein wenig scheu – die Sakramente empfangen.
„Gleich werden noch vier Jugendliche für das Sabbatjahr unserer Gemeinschaft gesendet“, flüstert Schwester Deborah. „Sie leben und arbeiten neun Monate mit uns mit. Sie prüfen ihre Berufung und vertiefen ihre Beziehung zu Gott.“ Der Elan, die Spiritualität, die Freude der Schwestern und Brüder ziehen die Menschen offensichtlich an. Ein Segen für das wiederbelebte Heiligtum São Jose de Boroma. Nach dem feierlichen Gottesdienst wartet auf die ganze Gemeinde ein großes Festmahl neben der Kirche, Torte inklusive.
Wir gehören bereits wie selbstverständlich dazu, ungeachtet sprachlicher Barrieren. Es fällt uns schwer, Abschied zu nehmen. So viele Eindrücke und Begegnungen würden wir gerne vertiefen, besser verstehen, was die Präsenz der Missionarinnen und Missionare für die
Menschen in Boroma bedeutet und was sie verändert. Wir sind uns nur gewiss: São Jose de Boroma wird seine Bedeutung als weit strahlendes spirituelles Zentrum, innovative Bildungsstätte und Ort der Gemeinschaft und Begegnung mit Gott in naher Zukunft vergrößern.
Während wir nach dem Fest – wieder im Dunkeln, nur dieses Mal mit noch größerer Geschwindigkeit – über die Piste zurück in die Provinzhauptstadt Tete schaukeln, sagt unserer Fahrer, Bischof Diamantino persönlich: „Ich würde euch gerne noch eine weitere Missionsstation zeigen, die ich restaurieren und wiederbeleben will. Allerdings ist sie nur per Boot erreichbar. Und sie liegt mitten in einem Löwenterritorium.“ Nach den Krokodilen und Flusspferden gäbe es also noch eine weitere Gefahr zu überwinden. Klingt nach einem chten Abenteuer. Für einen anderen Zeitpunkt.

„SEMENTES DO VERBO“
Diakon Georges Bonneval und seine Ehefrau Marie-Josette gründeten die Gemeinschaft „Samen des Wortes“ im Jahr 2004 im brasilianischen Palmas auf Wunsch des damaligen Erzbischofs der Diözese. Sie ghört zu den Neuen Gemeinschaften und ist in acht Ländern mit verschiedenen Häusern und Missionen vertreten. Die Gemeinschaft vereint Mitglieder aus verschiedenen Lebensbereichen (gottgeweihte Personen, Ehepaare, Familien, Priester, Zölibatäre …). Ihre kontemplative und missionarische Berufung leben die Gemeinschaftsmitglieder durch die Liturgie, das Wort Gottes, das Leben in Gemeinschaft und die Mission unter den Ärmsten, um damit allen Menschen das Wort Gottes zugänglicher zu machen.