Vom perfekten Tausch – Hähne gegen Hoffnung
Reportage zum Anhören: Vom perfekten Tausch
Bevor ich es vergesse: Ich soll dir ausrichten, dass sie dich sehr liebt“, verkündet der österreichische Missionar dem ruandischen Pfarrer, während er sich von der Rückbank des Pick-up-Trucks zum Fahrersitz lehnt. Gottfried muss sich dabei am Vordersitz festhalten, um sich auf der Schotterpiste voller Schlaglöcher Gehör zu verschaffen und nicht das Gleichgewicht zu verlieren. An einen Priester übermittelte Liebesschwüre verwundern hier niemanden. Schon gar nicht, wenn sie von Traude Schröttner kommen, der steirischen Freundin Ruandas. Die fast 80jährige wurde hier auch von Bischöfen schon als „Mama Traude“ bezeichnetund mit dem Ehrentitel gehen einige Rechte einher. Wie das selbstverständliche Aussprechen großer Liebeserklärungen an Geistliche.
Die beiden könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher wirken. Der Priester ruhig, zurückhaltend, fast streng. Sie forsch, fröhlich und verbindlich. Schnell wird deutlich, dass die vermeintlichen Differenzen oberflächlicher Natur und die Liebesschwüre keine reinen Floskeln sind. Alexis ist so gern bereit laut zu lachen, wie Traude Schröttner eine Frau des Gebets und der Stille ist. Die Grazer Pensionistin und den Landpfarrer aus Ruanda verbindet eine enge Freundschaft.
Selbstlose Freundschaft
Ihren Anfang genommen hat diese Innigkeit durch eine Pfarrpartnerschaft. Traude Schröttners Heimatpfarre Graz-Karlau hat bereits in den 1980er Jahren den „Arbeitskreis Weltkirche“ gegründet. Seit 20 Jahren widmet sich diese Runde engagierter Freunde unter ihrer Leitung besonders der Partnerpfarre Nyamasheke an der ruandisch-kongolesischen Grenze. Arbeitskreis – kein Terminus könnte technischer und unspektakulärer klingen – und gerade dahinter verbirgt sich eine staunenswerte und schöne Welt. Selten begegnet einem Berührenderes als das, was mit diesem sperrigen Titel bezeichnet wird. Das liegt nicht nur an den großen und selbstlosen Freundschaften, die dem Ganzen zu Grunde liegen und daraus hervorgegangen sind oder an den vielen bitterarmen Menschen, die durch die Arbeit des Kreises Anlass zu neuer Hoffnung bekommen haben, es ist auch eng verwoben mit der zuerst sehr grausamen und dann doch ermutigenden Geschichte Ruandas.
Diesmal ist die Freude über das alljährliche Wiedersehen der österreichisch-ruandischen Freunde an der Grenze zum Kongo etwas gedämpft. Traude ist mit einem positiven Corona-Test in der letzten Minute zu Hause zurückgeblieben. Nachdem das lästige Virus jegliche Trips ins Herz Afrikas 2020 und 2021 unmöglich machte, hatte sie Wochen, ja Monate, mit der Vorbereitung dieser Reise verbracht. Jetzt saß sie in Graz, während ihre treuen Freunde des Arbeitskreises in einem Pick-up und einem Kleinbus von Ruandas Hauptstadt Kigali in den südwestlichsten Zipfel des Landes kurvten.
Eine bunte Truppe
In den beiden Vehikeln ist eine illustre Truppe versammelt. Da ist Anton, ein Südtiroler, der das Reisen nicht leiden kann und überall Heimweh bekommt, wo nicht Südtirol ist. Außer in Ruanda. Dort, sagt der fröhliche Heimatverbundene, sei er zu Hause. Die zweite Nicht-Steirerin der Runde ist seine Frau, Maria Luise, gleichermaßen südtirolerisch. Die beiden haben in Ruanda geheiratet. In einer Kirche, die ihnen als halbvergessener Rohbau vorgeführt und mit ihrem Ersparten dann fertiggestellt wurde.
Ebenfalls mit von der Partie sind: Heidi, die mit ihren 78 Jahren eine wichtige Rolle spielt, da sie nicht nur fließend Französisch spricht und mühelos übersetzt, sondern auch so oft in Ruanda gewesen ist, dass sie viele Menschen und deren Geschichten sehr gut kennt. Sie ist außerdem die Mutter des eingangs erwähnten österreichischen Missionars, Gottfried (siehe allewelt 07/08 2022). Elisabeth, die wahrscheinlich beliebteste Kinderzahnärztin der Steiermark, genießt auch in Afrika so große Popularität, dass bei ihrem Erscheinen sofort spontane Kinderstunden um sie herum gestaltet werden. Roswitha, deren Koffer voller Geschenke ist für ihre zahlreichen Lieben in Ruanda, dabei ist es gerade ihr zweiter Besuch dort. Greta, die als Einzige zum ersten Mal mitreist und oft so ergriffen ist, dass sie nicht spricht und einfach loszieht und jedes Kind mit einem Kreuzl auf der Stirn segnet. Karin, in Vertretung Traudes die Chefin der besonderen Reisegruppe, ist eine eher schüchterne Frau, die sich am liebsten im Hintergrund bewegt und ein mütterliches Auge auf ihre Mitreisenden hat. Hier werden täglich Reden vor großen Menschenmengen von ihr verlangt und sie überrascht sich selbst bei jeder dieser Gelegenheiten durch ihre souveränen Worte des Dankes und der Verbundenheit.
Der letzte im Bunde ist Pater Jacques. Er war Pater Alexis‘ Vorgänger als Pfarrer von Nyamasheke. Jetzt ist er in Graz als Kaplan tätig. Denn der Bischof der Diözese Cyngugu versprach einst, dass die Pfarre in Karlau nie priesterlos existieren müsse. Er hat drei Jahre lang seine Familie und sein Heimatland nicht gesehen und funkelt vor Vorfreude. Nach sechs Tagen im Land, wird die glückliche Runde noch ergänzt von der lebensfrohen Maria, einer jungen Lehrerin, Jutta, der langjährigen Missio-Mitarbeiterin und Afrika-Kennerin und Uschi, einer vielgereisten und Nyamasheke-erprobten Psychotherapeutin.
Eine geheime Zutat
Es ist eine Gruppe, die gekommen ist, um für die Dauer von zwei Wochen ihre außerordentlich erfolgreichen Projekte der Entwicklungszusammenarbeit zu besuchen, und doch ist niemand von ihnen dafür ausgebildet. Ihr heikles Unterfangen der dauerhaften Bekämpfung von Armut ist kein akademisches Unternehmen. Die Grundlagen ihres Handelns sind einfach: Gesunder Menschenverstand und praktische Erfahrung. Plus eine Geheimzutat. Die Arbeitskreis-Weltkirchen-Formel ist so simpel wie sie schwer umsetzbar ist. Durch sie ist es gelungen, vielen Menschen ein nachhaltig besseres Leben zu ermöglichen: Verstand, Erfahrung und Liebe. Vor allem Liebe.
Traude Schröttner ist sicher: „Eine solche Hilfe zur Selbsthilfe, wie wir sie anbieten, funktioniert nur mit Gott und mit Liebe, denn Er schenkt die selbstlose Großzügigkeit, die dafür notwendig ist.“
Wenn man die zupackende Pensionistin fragt, wie genau diese Selbstlosigkeit aussieht, dann erzählt sie etwa von Jugendlichen, die in der Pfarre Nyamasheke anklopften und um eine Ausbildung baten. Und sie berichtet, wie sie in Österreich erfolgreich die Mittel aufstellen konnte für das viele notwendige Material, um Schneiderinnen und Maurer, Schlosser und Schreiner auszubilden. Nur um dann zu merken, dass es keine geeigneten Lehrerinnen und Lehrer vor Ort gab. „Wir erzählten dann in Radiosendungen, dass wir um steirische Handwerksmeister beteten, die in ihrer Pension oder längeren Ferien ohne Lohn und auf eigene Kosten bereit wären, junge Leute zu Tischlern, Zimmerleuten oder Schneidern aus-zubilden. So fanden wir unsere wunderbaren Handwerker. Nach ihren Arbeitseinsätzen kamen diese Meister so erfüllt zurück, dass sie ihren Urlaub im nächsten Jahr wieder für Ruanda reservierten.“
Echte Verwandlungen
Mit dieser unorthodoxen Methode haben nicht nur hunderte Burschen und Mädchen eine praktische Ausbildung erhalten. Traude bewegt das sehr: „Wenn sie ausgelernt haben, kehren die Mädchen mit ihren eigenen nagelneuen Nähmaschinen am Kopf nach Hause zurück. Sie üben einen Beruf aus, können das Erlernte sogar weitergeben – sie haben dann eine Perspektive. Das ist das größte Geschenk, diese Verwandlung zu sehen, wie aus ihnen selbstbewusste junge Menschen werden.“ Die Liste der ruandischösterreichischen Erfolge endet damit nicht. In den letzten 20 Jahren haben die Pfarren Graz-Karlau und die Diözese Cyangugu gemeinsam unter anderem zwei Therapiezentren für Kinder mit Behinderung eingerichtet, 460 Mädchen durch Patenschaften in ihrer akademischen Ausbildung unterstützt, einen Garten angelegt, vier Kindergärten gebaut, zwei gefährlich erkrankte Priester und zwei schwerstbehinderte Kinder in Österreich medizinisch behandeln lassen, zwei Schulküchen errichtet, eine Bibliothek eröffnet und eine Gesundheitsstation gebaut.
Fragt man Traude Schröttner, welches Projekt ihr die größte Freude gemacht hat, nennt sie ohne zu zögern die Witwenhäuser. „Ich hatte von hungrigen Waisen und völlig verarmten Witwen geträumt. Ein paar Tage später sagte mir Pfarrer Jacques, es gäbe so viele Waisenkinder auf der Straße und Witwen, die kaum überleben könnten. Wir haben angefangen für die Witwen Häuser zu bauen. Sobald eine Witwe ein sicheres Zuhause mit einem kleinen Gemüsegarten hatte, konnte sie ein paar Waisenkinder aufnehmen. Es hat immer die ganze Dorfgemeinschaft mitgeholfen. Auch die Armen. Niemand war den anderen etwas neidisch. Wir haben 780 von diesen Häusern gebaut. Inzwischen bauen wir sie auch für arme Familien, nicht mehr nur für Witwen.“ Sie haben viel gebaut, die Freunde. Zuallererst allerdings nicht die Armenhäuser, sondern erstaunlicherweise Kirchen. 21 Kapellen und Kirchen in 20 Jahren.
„Zuerst brauchen die Menschen Gott. Wenn sie beten können, bekommen sie Hoffnung und dann ist eine bessere Zukunft möglich.“
Demut als Fundament
Es ist Traude Schröttner ein großes Anliegen, dass sie sich die Hilfsprojekte nicht ausdenkt. „Sie kommen und sagen uns, was sie brauchen. Und ich bete dann mit ihnen und bitte um Hilfe. Und die kommt. Immer. Manchmal im letzten Moment. Aber Gott kann. Ich bin nur ein armes Hascherl. Ich kann nur betteln.“ Traudes unaffektierte Demut verbindet sie mit Pater Alexis, mit dem sie alle Projekte umsetzt.
Der Pfarrer von Nyamasheke ist so sehr zärtlicher Vater der Armen, wie er passionierter Seelsorger und routinierter Manager einer stattlichen Pfarre ist. Auch er legt Wert darauf, nur ein kleines Werkzeug zu sein. Diese Haltung der Selbstlosen macht Hoffnung, denn sie geht mit tiefer Dankbarkeit und ansteckender Fröhlichkeit einher. Es ist eine Haltung, die das Land Ruanda gesunden lässt. Das heilsame Gottvertrauen der Gruppe lässt sie das Böse überwinden. Und davon hat es in Ruanda viel gegeben.
Hoffnung nach dem Grauen
Die jüngere Geschichte des Landes ist von beispielloser Grausamkeit geprägt. Der Genozid im Jahr 1994 ist deshalb so außerordentlich erschütternd, weil es einfache Bürger waren, die angefangen haben zu töten – sogar ihre eigenen Nachbarn. Der Völkermord an den Tutsi, der fast eine Million Tote in weniger als drei Monaten forderte, wurde von allen Bevölkerungsschichten verübt. Wer sich mit ihm beschäftigt, vor dem tun sich ungeahnte Abgründe menschlichen Handelns auf. Und doch ist das nicht die ganze Geschichte Ruandas. Bewegt man sich heute in dem Land, begegnen einem Zeugnisse der Versöhnung und des Neuanfangs, die spektakulärer sind als das Grauen, das das Land vor, während und nach dem Völkermord prägte. Da kann es passieren, dass man plötzlich vor Jean-Baptiste steht, der einem erklärt, wie er mit großer Passion und Genauigkeit Jagd auf Tutsis gemacht hat und wie er durch die „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ im Gefängnis angefangen hat sich zu verändern. Bis zu dem Punkt, wo er ein öffentliches Geständnis ablegte und Frida, deren Familie er umgebracht hatte, um Vergebung bat.
Frida hat ihm vergeben. Und Jean-Baptiste, der Massenmörder, ist ein völlig veränderter Mann, ein wahrer Christ, wie ein Mitarbeiter der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden feststellt. Diese Kommission der ruandischen Bischofskonferenz ist verantwortlich dafür, dass man in Ruanda an einem Tag die Genozid-Gedenkstätte Murambi besuchen und sich dabei nur schwer einer abgrundtiefen Verzweiflung entziehen kann und am nächsten Tag in Kibeho, dem bisher einzigen anerkannten Marienerscheinungsort Afrikas, Jean-Baptiste und Frida trifft und sofort wieder weiß, dass die einzig realistische Haltung die Hoffnung ist. Es ist dieser Realismus, der das Projekt Pfarrpartnerschaft florieren lässt, diese Hoffnung, die alle daran Beteiligten so anziehend macht. Und es ist die unaufgeregte Art, in der das große Heil passiert, die inspiriert, selbst loszulegen. Traude Schröttner sagt über ihr imposantes Werk: „Was unser Arbeitskreis und Pater Alexis machen, kann jeder. Man muss nur um die Liebe zu den Armen beten.“