Wir als Kirche müssen viel lauter schreien!

Schwester Norma Pimentel

Die Grenzgängerin von Texas

Interview: von Katharina Hacker
8 min Lesedauer veröffentlicht am 30. April 2023

Für den Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten machen sich jährlich tausende Menschen auf den gefährlichen Weg in die Vereinigten Staaten. Schwester Norma Pimentel versorgt seit Jahren Migrantinnen und Migranten im Rio Grande Valley.

Papst Franziskus’ „liebste Nonne“ und laut Times-Magazin eine der 100 einflussreichsten Personen im Jahr 2020. Mit diesen klingenden Titeln kann Schwester Norma Pimentel selbst wenig anfangen. Die Ordensfrau mit mexikanischen Eltern weiß aber ihre Popularität medienwirksam zu nutzen ohne jemals diejenigen aus dem Blick zu verlieren, für die sie täglich alles gibt. Als Geschäftsführerin der katholischen Hilfsorganisationen der Diözese Brownsville im Süden von Texas kämpft sie unermüdlich dafür, dass die Immigrantenfamilien menschenwürdig empfangen und behandelt werden.

Worin besteht Ihre tägliche Arbeit?

In meiner Arbeit geht es darum, anderen zu helfen. Ich kümmere mich um diejenigen, die sonst keine Hilfe bekommen würden. Ich arbeite eng mit Leuten aus den unterschiedlichen Gemeinden. Häufig leite ich gemeinsame Hilfsaktionen, damit der Einsatz koordiniert und effizient abläuft. Seit der Migrationskrise nehmen wir uns der Familien, Kinder, Flüchtlinge an, die an und über die US-Grenze kommen. Ich habe damals die Organisation in die Hand genommen, Räumlichkeiten einer Pfarre gemietet und dachte, das wird nur ein paar Tage dauern. Jetzt sind es schon viele Jahre. Die Nöte sind inzwischen etwas andere, aber schlussendlich ist unser Ziel das gleiche: die Würde dieser Menschen wiederherzustellen, die zur Grenze kommen nach einer furchtbaren Reise voller Probleme.

Was sind die größten Herausforderungen für Sie und Ihr Team?

Das Schlimmste für mich ist, nicht jedem so helfen zu können, wie ich es gerne tun würde. Auf der US-Seite lässt sich der Ansturm recht gut managen, weil wir breite Unterstützung aus der Bevölkerung haben. Aber auf der anderen Seite der Grenze in Mexiko leiden tausende Menschen. Oft haben sie nicht einmal Trinkwasser. Wir kämpfen jeden Tag damit, grundlegende Dinge, wie Wasser und Essen, für die Menschen aufzutreiben. Die andere große Herausforderung für uns ist, den Migrantinnen und Migranten Schutz zu bieten. Sie sind so leicht verwundbar und allen erdenklichen Arten von Ausbeutung ausgesetzt.

Wie ist die Stimmung unter den Bewohnern des Rio Grande Valley?

Die Menschen im Rio Grande Valley sind sehr fürsorglich. Fast jeder hier hat selbst einen Migrationshintergrund und kennt die Strapazen und Leiden. Deshalb helfen uns die Leute gerne und bringen sich ein, selbst wenn es nur durch kleine Beiträge ist. In Wahrheit verdanken wir es zu 100 Prozent den Spenden der großzügigen Bewohnerinnen und Bewohner, dass wir unsere Arbeit weitermachen können. Und überall, wo ich hingehe, begegne ich großer Dankbarkeit. Natürlich gibt es auch die, die negativ reagieren. Die Medien sprechen immer von einer „Invasion“. Dazu verkündet unsere Politik, dass die Grenze offen sei und das motiviert natürlich viele Menschen zu kommen. Wir dürfen aber nie die Tatsache aus den Augen verlieren, dass es Menschen sind, die zu uns kommen. Wir können ihnen unsere Herzen nicht verschließen.

Wie schaffen Sie es, inmitten all dieser dramatischen Geschichten die Hoffnung zu behalten?

Ich höre täglich diese Geschichten von Müttern, von Kindern, die Schlimmes erleben, aber auch von Leuten, die sich heroisch für sie einsetzen. Diese Geschichten müssen wir uns im Herzen behalten und an andere weitergeben. Mir persönlich helfen die vielen schönen Erlebnisse weiterzumachen, wenn ich zum Beispiel einem Kind mit einer Süßigkeit oder einem Luftballon ein Lachen ins Gesicht zaubern kann. Diese einfachen Dinge motivieren mich enorm und erinnern mich an meine Verantwortung, den vielen anderen Kindern auch solche Momente zu schenken. Und natürlich schöpfe ich meine Kraft aus der Eucharistie und meiner Beziehung zu Gott. Er ist schließlich der, der hinter all dem steht und mich weiterträgt.

Was sagen Sie den Menschen, die alles zurückgelassen und riskiert haben, um in die USA zu kommen?

Ich sage ihnen, dass sie treu an Gott festhalten sollen, denn die meisten sind sehr gläubige Menschen. Wenn sie zu uns kommen, haben sie eine Hürde geschafft, aber für ein „neues“ Leben in den Vereinigten Staaten müssen sie noch so viele weitere Hindernisse überwinden, beispielsweise ihr Asylverfahren.

Welche Rolle spielt die katholische Kirche in den Vereinigten Staaten beim Thema Migration?

Ich denke, die Stimme der Kirche kann nie laut genug sein. Angesichts des Ausmaßes an Leid der Menschen, das ich sehe, sind wir als Kirche definitiv zu leise. Die katholische Kirche engagiert sich in vielen Bereichen, einige Bischöfe äußern sich explizit zu dem Thema und prangern Dinge an. Trotzdem, wenn so viele Leute sich auf diese gefährliche Reise begeben, sind wir eindeutig nicht laut genug. Unsere Stimme muss die Erde zum Beben bringen. ●

Künstler aus aller Welt: Diesmal aus KENIA

Wechselnde Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt gestalten das Porträt auf dieser Seite. Diesmal tut das Joseph Baraka aus Kenia. „Ich zeichne und kritzle, seit ich denken kann. Da ich selbst Gemeinschaftsentwicklung studierte, inspiriert mich Schwester Normas Einsatz für Flüchtlinge an der Grenze. Ich habe recherchiert, dass sie Kunst und Gemälde einsetzt, um Spenden für ihre Arbeit zu sammeln. Daher entschied ich, sie in einem Wandgemälde am berüchtigten Grenzwall zu verewigen, um die außergewöhnliche Wirkung zu würdigen, die sie dort hinterlässt.

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