"Ein Kind, das glaubt, dass man etwas erreichen kann, gibt nicht auf."

Dolora Cardeño

Wie aus Hoffnung Zukunft wird

Interview: von Christoph Lehermayr
8 min Lesedauer

Ein Bub aus einem Armenviertel wird zum weltweit angesehenen Architekten – und das dank Dolora Cardeño. Nun schildert die engagierte Sozialarbeiterin, wie sie auf den Philippinen Kindern Flügeln verleiht und so fast eine Million von ihnen retten konnte.

Dolora Cardeño leitet mit 71 Jahren und unbändiger Energie die ERDA-Stiftung. Seit 47 Jahren kämpft sie für Bildung armer Kinder auf den Philippinen. Ihr positiver Elan und Optimismus haben fast eine Million Leben verändert. Nun erzählt sie von Erfolgsgeschichten, Herausforderungen und ihrer Vision für eine gerechte Zukunft. 

Frau Cardeño, Sie leiten die ERDA-Stiftung, die in 50 Jahren 950.000 Kindern Bildung ermöglicht hat. Wie gelingt das?

Als wir 1974 begannen, wollte unser Gründer Pater Pierre Tritz armen Kindern Bildung ermöglichen. Wir starteten mit Vorschulprogrammen, weil es keine staatlichen Kindergärten gab. Heute unterstützen wir Kinder von der Grundschule bis zur Universität, in der Hauptstadt Manila und allen Provinzen des Landes, durch direkte Sozialarbeit und Partnerschaften mit Schulen und NGOs. Unsere Sozialarbeiter, Freiwilligen und Spender machen das möglich.

Wie hat sich das philippinische Bildungssystem in diesen 50 Jahren verändert?

Früher gab es in vielen Provinzen keine Sekundarschulen, Kinder mussten weite Wege gehen. Klassen hatten bis zu 80 Schüler pro Lehrer. Heute gibt es Schulen in fast jeder Gemeinde, mehr Lehrer, Computer und ein größeres Bildungsbudget. Der Staat bietet Kindergarten bis Oberstufe. Doch Lesen und Mathematik sind Schwachstellen – wir rangieren auf Platz 76 von 79 Ländern. Zudem fehlen 25.000 Schulleiter. Deshalb helfen wir den Kindern gezielt mit Nachhilfe. 

Wie unterstützen Sie Eltern, die oft in Armut leben?

Viele Eltern sind ungebildet, müssen beide arbeiten und leben in beengten Verhältnissen. Sie  können ihre Kinder kaum bei Hausaufgaben unterstützen. Unsere „Junior Educators“ – ausgebildete Schüler und Freiwillige – geben Nachhilfe und helfen Eltern, Lerninhalte zu verstehen. In einer Gemeinde kamen Eltern zu ihnen und baten: „Erklär uns das!“ Wir fördern auch Workshops, um Eltern stärker einzubinden. 

ERDA bietet Nachhilfe. Warum ist das wichtig?

Lesen und Mathematik sind die größten Hürden. Wir bieten Nachhilfe, um diese Lücken zu schließen. Unsere „Junior Educators“, oft selbst ehemalige Schüler, unterrichten Kinder nach der Schule. Zusätzlich fördern wir Führungsqualitäten und Selbstbewusstsein. Das gibt Kindern Mut, trotz Armut weiterzumachen. Ein Kind, das an sich glaubt, kann Berge versetzen.

Welche Erfolgsgeschichten entstehen so?

Ein Bub aus Tondo, ein Müllsammler, wurde anfangs in der Schule diskriminiert. Wir halfen ihm erst mit Hygiene und dann mit Nachhilfe und Motivation. Weil seine Familie obdachlos war, lebte er bei Nachbarn, kämpfte sich durch und ist heute ein Ingenieur. Oder Shabs, ein muslimischer Junge aus einer armen Gemeinde. Er wollte erst aufgeben, biss sich dann mit unserer Unterstützung aber durch, wurde erst „Junior Educator“, fand Inspiration und ist jetzt Lehrer. Solche Geschichten zeigen, was möglich ist. 

Was ist der gemeinsame Faktor solcher Erfolge?

Inspiration ist der Schlüssel. Armut, Diskriminierung und beengte Verhältnisse können Kinder brechen. Doch wenn Sozialarbeiter, Lehrer oder „Junior Educators“ sie ermutigen, wachsen sie über sich hinaus. Unsere Programme fördern nicht nur Bildung, sondern auch Selbstbewusstsein und Führungsstärke. Ein Kind, das glaubt, dass man etwas erreichen kann, gibt nicht auf. 

Was macht Ihre Arbeit für Sie so besonders?

Nach 47 Jahren als Sozialarbeiterin ist es eindeutig das Glück der Kinder. Erst sehe ich sie als Vierjährige in unserem Vorschulprogramm und zwei Jahrzehnte später als Absolventen, die zurückkommen und sagen: „Ich will helfen.“ Alvin, der mit vier bei uns begann, ist heute ein weltweit tätiger Architekt und sponsert mittlerweile selbst ERDA-Patenschaften für Kinder. Er hat nicht vergessen, wo er herkommt, ganz im Gegenteil. Auch unsere 51 College-Absolventen in diesem Jahr machen mich unfassbar stolz. Hoffnung in Zukunft zu verwandeln – das ist mein Lohn.

Ihr Wunsch für die nächsten 50 Jahre?

Dass jedes Kind Bildung bekommt, egal wie arm es ist. Wir müssen Lesen und Mathematik verbessern, Eltern stärker einbinden und die digitale Kluft schließen. Ich träume von Philippinen, auf denen kein Kind zurückgelassen wird und jedes sein Potenzial entfaltet. 

Künstler aus aller Welt: Diesmal aus Kolumbien

Wechselnde Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt gestalten das Porträt auf dieser Seite. Diesmal tut das Amani Muhammad, eine in Kanada lebende gebürtige Mexikanerin. „Kunst ist seit der Kindheit mein Ventil und trägt bis heute den Wunsch, Menschen wieder mit der Natur zu verbinden“, sagt sie. Daher der Baum als Symbol für Doloras Stärke, der Vogel als Zeichen des Vertrauens und die leuchtenden Farben für das Licht, das Dolora für die Kinder ist. Die verwendete Crayola-Technik soll an einen Kinderzeichnung erinnern. 

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