In tiefen Abgründen
In den Böden des Kongo verbirgt sich einer der größten Schätze der Erde: Kobalt – ein Erz, das in Akkus vom Handy bis zum E-Auto steckt. Doch der Boom ändert nichts an Armut und Hunger im Land. In zwei Teilen erzählt die allewelt eine unglaubliche Geschichte von Ausbeutung und Gier, aber auch herzergreifender Menschlichkeit.
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Ihr wollt also zu den creuseurs, raus in die Minen? Und, was glaubt ihr, dort zu finden?“ Der wuchtige Mann im wild gemusterten Seidenhemd setzt einen taxierenden Blick auf. Wir, ein Journalist und ein Fotograf aus Europa, sind die letzten, die er als Chef des lokalen Geheimdiensts gerade hier braucht. Und doch hat er uns herbeordert, als er von unserem Eintreffen in Kolwezi erfuhr. Armut, Ausbeutung, Kinderarbeit – das, was bereits eine simple Google-Suche nach dem Ort ausspuckt, scheint jetzt in seinem Kopf herumzuschwirren. Lästige Reporter, die all dem auf den Grund gehen wollen, gilt es aufzuhalten. Denn was sie sehen, könnte Menschen in gläsernen Konzernzentralen in Europa und den USA unruhig machen, und das fiele ja wiederum auch auf ihn zurück.
An der Decke rotieren die Flügel des Ventilators. Die Luft bleibt dennoch stickig, sein Französisch schneidend. „Hört zu, ihr könnt da nicht hin“, sagt er bestimmt, „das ist verdammt gefährlich. Wenn, dann muss ich euch ein paar von meinen Männern mitgeben. Mindestens acht. Einer kostet euch 200 Dollar am Tag.“ Der Geheimdienstler grinst. Damit hat er alles ausgesprochen, die Parameter abgesteckt, die Fremden verunsichert. Als wir eine halbe Stunde später sein Büro verlassen, ist eines klar: Wir brauchen eine Alternative.
Im Fieberwahn
Wie alle hier, sind wir wegen des Kobalts nach Kolwezi gefahren. Die Stadt liegt im Süden der nur dem Namen nach Demokratischen Republik Kongo. Gegründet 1937 von Belgiens staatlicher Minengesellschaft, ist es zu einem der fiebrigsten Orte Afrikas geworden. Eine Stadt, die uns in Beschlag nimmt, in Abgründe führt und Alpträume weckt. Weil Grauen und Gier sie prägen, und sie zugleich eine Stätte der Zukunft ist.
Wo aber anfangen, was erzählen? Zuerst vom giftgrünen See gleich im Zentrum der 600.000 Einwohner-Stadt? Entstanden aus dem Abraum einer Mine, angereichert mit Spuren von Kupfer und radioaktivem Uran. Und dann der Blick auf die Frauen, die dort ihre Wäsche waschen, die Bauern, die darin Tanks befüllen und damit ihre Gemüsefelder bewässern, weil sie nicht anders können. Oder doch zuerst von den vielen Kindern berichten, die im besten Fall einmal pro Tag zu essen bekommen, und dann auch nur bukari, einen Brei aus Maniok? Und das an jenem Ort, an dem so viel vom begehrtesten Erz der Erde lagert wie nirgendwo sonst auf der Welt?
Ein „geologischer Skandal“ sei das, was sich rund um Kolwezi unter der Erde auftut, hat es einmal ein Experte genannt. Ein Reichtum an Mineralien, sobald man nur zu graben beginnt. Wild übereinander getürmt in verschiedenen Schichten, sodass nie ganz klar ist, wo eine Ader beginnt, und wo sie endet. Seit es Smartphones gibt und sich Kobalt als bester Leiter für deren Akkus erwies, verfiel Kolwezi dem Fieberwahn. Denn alles, was eine leistungsstarke Batterie hat und nach „grüner Zukunft“ klingt, braucht dieses Erz, besonders die boomenden E-Autos. Zwei Drittel des global gehandelten Kobalts stammen aus dem Kongo. Kein anderes Land hat nur annährend so viele Vorräte. Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Fördermenge verdreifacht. Bis 2026 soll sie sich noch einmal verdoppeln. Die Preise gehen durch die Decke. Wer aber glaubt, das würde den Kongo reich machen, irrt. Kolwezi ist das Gegenteil von Dubai.
Unter Chinas Kontrolle
Selbst im Zentrum ist kaum eine der Straßen asphaltiert. Müll türmt sich auf den Wegen. Sie führen zu Hütten aus ungebrannten Lehm-Ziegeln. Die Erde klafft auf. Risse ziehen sich durch Häuser und über die Pfade. „Wen wundert es, bei dem, was die dort unten aufführen?“, sagt Pierre Mastaki, der hier wohnt und an den Rand einer Böschung zeigt. Als wir uns nähern, stürmt ein Mann mit Walkie-Talkie herbei: „Sofort die Kamera runter! Das ist Privatgelände!“ Erst später, als der Fotograf unbeobachtet seine Drohne aufsteigen lässt, wird klar, was hier vor sich geht: Mitten in der Stadt blicken wir auf die erste Mine. In Kaskaden gräbt sie sich 200 Meter in die Tiefe. Bagger, so groß wie Einfamilienhäuser, fuhrwerken darin. Pierre und seine Nachbarn sind drauf und dran, von ihr verschlungen zu werden. „Sie gehört den Chinesen, wie fast alles hier. Anfangs hieß es noch, wir würden abgesiedelt und mit gutem Geld abgefunden. Aber kassiert haben nur unsere Politiker, sonst geschah nichts. Außer, dass jeden Tag unsere Wände wackeln und alles wohl bald einstürzt.“
Gut 80 Prozent des im Kongo abgebauten Kobalts stammen aus industriellen Minen wie jener hinter Pierre Mastakis Haus. Es sind gigantische, kilometergroße Löcher, die sich wie verkehrte Maulwurfshügel durch die Stadt ziehen. Einst waren sie staatlich und hoch profitabel, boten gute Jobs und den Arbeiterfamilien gar eigene Siedlungen. Doch der Kleptokratie unter dem Gewaltherrscher Mobutu und seinem Nachfolger Kabila gelang das Unmögliche: ein Monopolbetrieb, der über ein Fast-Monopol auf einen gefragten Rohstoff verfügte, ging pleite.
Die Erde klafft auf, Risse ziehen sich durch die Häuser und über die Pfade: „Wen wundert es, bei dem, was die dort unten aufführen.“
„Pinga! Pinga!“
Der Rest der Geschichte ist rasch erzählt. Wie an so vielen einträglichen Orten Afrikas, tauchten Chinesen auf, versprachen neue Straßen, Stadien und Spitäler und verlangten im Gegenzug die Kontrolle über die Rohstoffe. Kongos Regierungsspitze flog nach Peking, nahm nicht einmal einen Übersetzer mit und unterschrieb dort das wichtigste Dokument seit Ende der Kolonialzeit. Der „Deal des Jahrhunderts“ umfasst bloß sieben Seiten und sichert China den Zugriff auf 600.000 Tonnen Kobalt. Die Folge: 15 der 19 Minen im Kongo stehen unter der Kontrolle Pekings.
Dabei bleiben die Chinesen die großen Unsichtbaren in Kolwezi. Sie haben sich eine abgeschottete Infrastruktur aus eigenen Siedlungen, Krankenhäusern, Hotels und gar Casinos geschaffen. Als Chefs sind sie gefürchtet, zahlen miserabel und karren für gute Jobs ihre eigenen Leute aus China her. Abends wird uns in den Kaschemmen von Kolwezi zu vorgerückter Stunde ein Video gezeigt, das das illustriert. Darin liegt in einer der Minen ein halbnackter Einheimischer mit verbundenen Händen auf dem Boden. Ein Security-Mann mit Kalaschnikow über der Schulter schlägt mit einer Peitsche auf ihn ein. Im Hintergrund spricht der Aufseher auf Mandarin, unterbrochen nur von einem einzigen Wort, das er in der Landessprache Swahili ruft: „Pinga! Pinga!“ – schlag zu!
Das sind die Bedingungen, unter denen Kobalt im Kongo industriell abgebaut wird. „Sauberes“ Kobalt, wie es dessen Abnehmer in den Weltkonzernen wohl nennen würden. So ausbeuterisch das wirkt, so wenig spiegelt es noch die Wirklichkeit in Kolwezi wider. Diese beginnt dort, wo der Geheimdienstchef tunlichst verhindern wollte, dass wir je einen Schritt dorthin setzen: Tschabula – eine von zig halboffiziellen Minen.
Die Madame der Minen
Um sie zu betreten, werden wir bei einer Madame vorstellig. Dass die Dame über Macht und Einfluss verfügt, wird klar, sobald man zu ihrem Haus gelangt. Im Schatten eines Mangobaums sitzen Wächter und weisen den Weg ins Innere. Darin, fließendes Wasser, Strom, ein Fernseher, der läuft und damit alles, was sonst kaum einer in Kolwezi hat. Die Madame ist geschäftig, tippt mit ihren gemachten, fein lackierten Fingernägeln auf mehreren Smartphones, krault zwischendurch ihre Katzen und fragt gekonnt uninteressiert nach dem Leben in Europa. Nach einigem Hin und Her nickt sie in Richtung der Wächter, was uns den Aufbruch erlaubt.
Und dann, völlig unerwartet, eine Gerölllandschaft entlang eines Rinnsals, im Schatten der Abraumhalde von einer der offiziellen Minen. Der Blick gefriert. Das Auge starrt auf zuvor noch nie Gesehenes. Es sind Hunderte Menschen, die schaufeln und schürfen, die wie Ameisen im Abraum der Mine schuften. Starke, junge Männer graben mit der Spitzhacke. Frauen sieben Gestein. Kleine Kinder schleppen kiloschwere Jute-Säcke auf ihren Schultern. Die Burschen erklären, dass sie Felsbrocken vom Rande der Mine herausschlagen und zeigen, wie sie die Säcke über den steilen Abhang heruntertragen. Noch ist das kein Kobalt, was sie in Händen halten, sondern bloß die Hoffnung darauf. „Schimmert das Gestein giftgrün, dann ist Kupfer enthalten. Hat es aber schwarze Flecken, könnte es Kobalt sein“, sagt Ambasto, der 20 ist. Er ist einer der creuseurs, wie sie hier auf Französisch genannt werden, ein Schürfer, der seit zwölf Jahren nichts anderes macht.
Das Kobalt der Kinder
Eine Schule hat er noch nie von innen gesehen und muss lachen beim Gedanken, er hätte früher eine besuchen können. „Das ist doch was für die Kids aus dem Fernsehen, so mit Rucksack und Tafel und so. Hier heißt es für uns graben oder verhungern, ganz einfach.“ Wie zum Beleg, schleppen zwei Buben Säcke voll mit Felsbrocken vorbei. Sie heißen Gaston und Felix, tragen schmutzige Pullover und Sandalen und sind zehn Jahre alt. „Wir helfen der Mama beim Sieben“, sagen sie und erzählen, dass es in der Früh losgeht, mittags kurz Pause ist und sie dann bis zum Abend mit den schweren Säcken hin- und hermarschieren. Dort, wo ihre Mutter schuftet, stehen die Frauen barfuß knöcheltief im Schlamm. Immer wieder bücken sie sich, füllen ihre Plastikschüsseln mit Wasser und schleudern sie über den Aushub. Derselbe Vorgang. Immer und immer wieder. Hunderte Male. An einem einzigen Tag. Bis sich der Rücken krümmt, bis sich das Metall, das etwas wert ist, aus dem Gestein löst. Dass dieses auch hier radioaktives Uran enthält, wissen sie nicht. Ebenso wenig, dass Fehlgeburten und Missbildungen an Babys in der Region exorbitant gestiegen sind und Krebserkrankungen massiv zunehmen.
Geschätzt sind es 170.000 Menschen, die sich in und rund um Kolwezi in den halblegalen Minen verdingen. Die in dem, was die großen Konzerne übriglassen, graben und schürfen, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren, in der Hoffnung, nur ein winziges Kieselsteinchen vom riesigen Felsen an Reichtum zu ergattern, der theoretisch unter ihrer Erde lagert. Die aus der Ausweglosigkeit und dem Hunger geborene Gier, sich selbst ein kleines Klondike zu schaffen, treibt gerade die Männer in immer tiefere, selbstgegrabene Schächte und raubt ihnen wortwörtlich den Atem. Erstickt, verschüttet und gestorben, hunderte Male bereits. Bereichert haben sich bloß die, die Claims vergeben, dafür geschmiert werden wollen und in den staatlichen Stellen des Landes sitzen, das dabei zusieht, wie sein Volk sonst verhungert. In Kolwezi gibt es unzählige solcher Mondlandschaften voller Krater gegrabener Hoffnungslosigkeit. Ganzen Familien mit Kindern bleibt kein anderer Ausweg, als dort zu schürfen, um die Säcke mit Gestein später zu einem Mann wie Limit zu schleppen. Er ist ein Zwischenhändler und harrt in einem Wellblechverschlag am Rande eines schlammigen Sees aus.
„Schule ist doch was für die Kids aus dem Fernsehen, so mit Rucksack und Tafel und so. Hier heißt es für uns graben oder verhungern, ganz einfach.“
Beute und Betrug
Im Wind flattert seine Preistafel. Er ist das nächsthöhere Glied in einer Kette, die dorthin reicht, wo diese Geschichte begann. „Sie alle werden betrogen“, sagt dieser Limit, der wie ein anständiger Mann wirkt, der längst begriffen hat, wie ohnmächtig die Kongolesen dem Spiel weit größerer Mächte ausgeliefert sind. „Aber fahrt raus nach Musompo, bleibt unauffällig und ihr werdet es verstehen.“
Unablässig donnern dort schwere LKWs voller Kobalt über die Ausfallstraße, die zur Grenze ins nahe Sambia führt. Die Chinesen transportieren ihre Beute ab. Am Straßenrand schieben krumm gewordene Männer Fahrräder, auf die sie pralle Jute-Säcke aufgeschnallt haben. Es ist ihre Beute des Tages. Damit landen sie in dunklen Hütten, in denen großes Geld gemacht wird. Die Chinesen kaufen hier auch die Bestände aus den halblegalen Minen auf. Zu Preisen fernab des Weltmarkts. „Sie betrügen uns“, vermutet einer der Schürfer, „ihre Prüfgeräte, mit denen sie den Reinheitsgrad des Gesteins bestimmen, sind getürkt. Aber, was sollen wir tun? Wir brauchen das Geld.“ Abends, wenn der Markt in Musompo schließt, brechen auch von dort die LKWs nach Sambia auf. Das „schmutzige“ Kobalt nimmt den gleichen Weg wie das „saubere“. Es ist genauso gräulich wie das Grauen, das sich in ihm verbirgt.