Das Gigantischste,
was man tun kann

Elisabeth Gstaltmeyr hat in ihren Vierzigern zu Hause in Österreich alles zurückgelassen, um Missionarin zu werden. 30 Jahre später erklärt sie, warum sie ihrer Arbeit auch heute mit größtem Engagement nachgeht: Sie hält es nicht aus, dass es Menschen gibt, die nicht geliebt werden.

Text: Anne Fleck Fotos: Tobias Bosina
20 min Lesedauer

Sie wird heuer 80, wirkt aber, als wäre sie mindestens zwei Jahrzehnte jünger. Vielleicht ist es Sambia. Vielleicht wird man in der Afrikamission nur halb so schnell alt? Als sie mit ihrem Mann Franz herzog, war sie erst 43. Wenn sie in den folgenden 36 Jahren nur mit halbem Tempo gealtert wäre, käme sie jetzt auf 61 Jahre. Schaut man ihr dabei zu, wie sie in den Jeep klettert oder mit den Jugendlichen interagiert, erscheinen einem die sechs Dekaden deutlich plausibler als die acht. Am beschaulichen Leben südlich des Äquators kann es nicht liegen. Im Gegenteil – die Gstaltmeyrs haben einigen Komfort hinter sich gelassen. In Salzburg haben sie zur Gesellschaft gehört. Der inzwischen verstorbene Franz hatte einen sehr guten Job bei IBM, diverse politische Ehrenämter inne und kam aus einer Familie, die schon lange dazugehörte. Und dann haben sie hier etwas ganz Neues aufgebaut. „Wir kamen an und wohnten in einem kleinen Haus, das die Franziskaner uns bereitgestellt hatten. In diesem Haus waren über dem Plafond jede Menge Ratten. Unten waren Eidechsen und Mäuse.                                              

Die Franziskaner haben zu uns gesagt: Verhängt eure Fenster, damit keiner sieht, was ihr alles habt. Dabei hatten wir nur zwei Sessel und zwei Krankenhausbetten. Ich war so entmutigt, ich habe meine Malaria-Pillen gezählt, um zu wissen, wann ich endlich abfahren könnte.“ Und dann hat sie es doch liebgewonnen, Sambia – die ehemalige britische Kolonie südlich vom riesigen, gefährlichen Kongo. Nachdem die Malaria-Prophylaxe eingenommen war, sind sie geblieben. Und haben jahrzehntelang keine Malaria bekommen. Als Elisabeth dann doch mal richtig krank geworden ist, war der afrikanische Süden schon ihr Zuhause und nach Österreich zurückzuziehen undenkbar. Und doch ist sie auch heute noch manchmal angestrengt von ihrer Wahlheimat. Elisabeth Gstaltmeyr ist keine Stoikerin aus einer Traumwelt. „Wenn es zwölf Stunden am Tag keinen Strom gibt, das stört mich gewaltig.“

Sollte man sich erfahrene Missionare als Menschen vorstellen, die so viel erlebt haben, dass sie nichts mehr ärgert oder besorgt, dann hat man von der Frau, die sich durch die Arbeit des Neokatechumenats bekehrt hat, definitiv ein falsches Bild. Sie ist empört über die Korruption. Über Unehrlichkeit in der Kirche. Dass Geld so ein großes Thema ist. Es gibt hier Oberministranten, die sich bestechen lassen. Nur wenn die anderen Messdiener sie bezahlen, lassen die sie auch in den Altarraum. Elisabeth und Franz lebten das Gegengift zu diesem korrupten Materialismus. „Bevor wir herkamen, haben wir alles verkauft, was wir in Österreich hatten und das dann den Armen gegeben. Am Anfang dachten die Menschen hier, wir kämen mit Geld. Jetzt wissen alle, dass wir keins haben. Sie sollen ja nicht uns nachfolgen, sondern Jesus Christus.“

Die Folgen der Rettung einer Ehe

Diesem Jesus schreiben sie zu, damals ihre Ehe gerettet und ihnen dann eine völlig neue Perspektive geschenkt zu haben. „Wir wurden zu einer Katechese des Neokatechumenats eingeladen. Damals hatten wir zwei kleine Töchter und beschlossen, uns scheiden zu lassen. Wir wussten keinen anderen Ausweg. Ich weiß nicht, warum wir hingegangen sind. Noch dazu gemeinsam. Irgendwann, mit den Monaten, konnten wir sehen, dass die Fehler des anderen auch die eigenen sind. Und dann haben wir angefangen, uns zu verändern. Jahre später wurde gefragt, wer diese lebensverändernde Erfahrung zu denen bringen wollte, die sie auch brauchten. Wir wurden gebeten, hierher zu kommen. Ein Missionar hatte begonnen, etwas aufzubauen, ist aber sehr krank geworden. So sind wir in Sambia gelandet, ohne vorher zu wissen, wo es lag. Mein Mann Franz war sofort begeistert. Ich zuerst nicht. Irgendwann dann doch.“

Heute fängt noch manchmal der Generator Feuer, was an einem Ort, an dem die Feuerwehr niemals auftaucht, natürlich deutlich nervenaufreibender ist, aber die Zahl der Ratten hat abgenommen und das aktuelle Zuhause von Elisabeth ist am ehesten mit einer Oase vergleichbar. Mitten in der nordsambischen Stadt Kitwe und direkt an einem riesigen, lauten, wilden und engen Markt, liegt das Catholic Centre. Es ist der Hauptverkehrspunkt des Neokatechumenats dort, Missionsstation und Einkehrort, vorläufiges (seit 20 Jahren) Zuhause des Priesterseminars und es beherbergt auch Elisabeth und ihr kleines Team, bestehend aus einem Seminaristen und einem Priester. Es ist ein Ort, an dem sich viel Leben abspielt und von dem viel Leben ausgeht. Hier treffen sich die Geistlichen des neokatechumenalen Wegs zum Austausch, hier bilden sich Rosenkranzgruppen und hier werden Katechistinnen und Katechisten ausgebildet.

Die Not, gegen die Elisabeth und ihre Gefährten arbeiten, ist nicht primär materieller Natur. Wenn man sich den Human Development Index anschaut, sieht man, dass sich Sambia im oberen afrikanischen Mittelfeld bewegt. Es gibt schon Hunger dort und echten Mangel, aber vor allem beschäftigt die resolute Missionarin und Großmutter die große Zahl von Menschen, die ohne fürsorgliche Zuwendung leben müssen. „Es gibt so viele Kinder und Jugendliche, die von den Eltern nicht geliebt werden oder die keine mehr haben. Oder Onkel, die ganze Familien tyrannisieren, weil die das Sagen haben, wenn der Vater stirbt. Die Witwen sind oft in furchtbaren Situationen. Denen wird von der Familie alles weggenommen.“ Elisabeths Antwort auf dieses Elend ist fast irritierend einfach: „Wir tun nichts anderes als Gott zu bringen. Das Wort zu bringen. Wir sagen nicht: Du musst aufhören zu stehlen oder du musst auf deine Familie schauen. Wir verkündigen das Wort, und Gott verändert.“ Und das tut er tatsächlich. Und er tut es auf sehr unterschiedliche Arten. Elisabeth erzählt zum Beispiel von einem Hexer, der seinen Job an den Nagel hing, alle seine Instrumente im Catholic Centre abgab und erklärte, er habe zu viele Menschen getäuscht.

Passion: Familienseelsorge

Ebenso berührend ist ihre Arbeit mit den Familien. Wenn Elisabeth über die Familienseelsorge spricht, wird die rationale Missionarin doch ein bisschen emotional. Es ist eines ihrer Herzensanliegen. Sie weiß, wie wichtig die Rolle der Eltern für ein gelingendes, erfülltes Leben der Kinder ist und so gehört es zu ihren wichtigsten Zielen, diese Beziehung zu stärken. Das fängt bei grundlegenden Dingen wie dem Umgang miteinander und dem gegenseitigen Austausch an. Gordon und Veronica, die sieben Kinder im Teenager- und Erwachsenenalter haben, erklären: „Bei uns ist es ein Tabu, offen mit den eigenen Kindern zu sprechen.“ Es ist die Arbeit des Neokatechumenats, die seiner Familie eine neue Perspektive vermittelt hat. Seine Tochter Susan ist dafür sehr dankbar. „Wir verbergen heute nichts mehr voreinander. Wir reden über alles. Ich trau mich zu sagen, was ich möchte. Und ich kann von meinen Eltern Kritik annehmen. Bei uns isst auch keiner mehr allein. Wir zeigen uns auch durch die gemeinsamen Mahlzeiten, dass wir uns lieben.“ Die Eltern und vier ihrer Kinder, die noch zu Hause leben, stehen am Sonntag um fünf Uhr auf, um zusammen zu beten. Am Ende segnen die Eltern jedes ihrer Kinder und dann gehen sie gemeinsam zur Kirche. Elisabeth hält genau das für einen der wichtigsten Gründe, warum junge Menschen in der Kirche bleiben.

Katechesen verändern die Welt

Dass die Anwesenheit und Fürsorge der Eltern nicht die einzige Chance auf ein Leben mit Perspektive ist, zeigt das Leben von Emmanuel. Er ist der Jüngste im Priesterseminar. Nach dem Tod seiner Eltern lebt er bei seinem Onkel, der ihn weder liebt noch fördert. Das originelle Kind findet dennoch Methoden, der Familie Gutes zu tun und baut sich einen kleinen Verkaufsstand. Seine Verwandten beeindruckt das nicht und Emmanuel landet auf der Straße. Sein Leben ist von unvorstellbarer Härte geprägt, bis es sich völlig verändert. „Ich habe Gottes Liebe erfahren. Das möchte ich jetzt weitergeben. Ich war ein Straßenkind. Es war ein Leben ohne Liebe, voller Sünde. Bis ich einen Katechisten getroffen und die Kirche kennengelernt habe. Um das, was ich bekommen habe, weiterzugeben, würde ich mich überall hinschicken lassen. Deshalb will ich Priester werden.“
Katechisten. Bei uns völlig unbekannt. In Afrika eine Säule der Kirche. Männer und Frauen, die fundiert und passioniert den Glauben weitergeben. Auch das gehört zur Arbeit von Elisabeth Gstaltmeyr: Die Ausbildung und Begleitung dieser Katechistinnen und Katechisten. Es sind beeindruckende Menschen und sie sind bereit, etwas auszuhalten.

Bei einem ihrer Treffen berichtet ein Vater, wie er und seine Frau in Zeiten großer Not das Gutenachtgebet so ausgedehnt hätten, dass die Kinder dabei eingeschlafen seien und so nicht bemerkt hätten, dass das Abendessen ausfallen musste, weil sie keine Lebensmittel hatten. In einer Haltung der Hoffnung auch Opfer zu bringen, ist eine Eigenschaft, die einem in der Kirche in Afrika oft begegnet, und eine ihrer großen Stärken. Sie macht auch das Priesterseminar in Kitwe zu einem besonders anziehenden Ort. Wenn man die jungen Männer beobachtet, wie sie ihren Gästen das Abendessen servieren oder danach gemeinsam die Küche putzen, ist man verblüfft von ihrer offensichtlichen Freude am Bedienen der anderen. Elisabeth sagt über die Männer und Frauen, mit denen sie arbeitet: „Ich will aus diesen Brüdern und Schwestern keine Helden machen, aber in der Fastenzeit beten diejenigen, die schon länger beim Neokatechumenat sind, gemeinsam morgens die Laudes. Ein relativ alter Bruder, er hat eineinhalb Stunden Fußweg, kommt, wenn wie jetzt Regenzeit ist, völlig durchnässt dorthin, aber er kommt. Und meistens ist er der Erste.“

„Ich habe Gottes Liebe erfahren. Das möchte ich jetzt weitergeben. Ich war ein Straßenkind. Es war ein Leben ohne Liebe, voller Sünde. Bis ich einen Katechisten getroffen und die Kirche kennengelernt habe. Deshalb will ich Priester werden.“

Emmanuel, Seminarist

Tätige Nächstenliebe

Helden oder nicht, sind sie doch echte Vorbilder der tätigen Nächstenliebe. Die Kirche ist hier – wie an so vielen Orten des Globalen Südens – nicht einfach Verkünderin der Hingabe für die anderen. Das Lieben wird in der Mission sehr praktisch. Auch in Sambia wird deutlich, was schon Pauline Jaricot gepredigt hat: Es reicht nicht, wenn du einem Hungernden von der Fürsorge Gottes erzählst. Er muss sie erleben können. Das Vertrauen in die überirdische Fürsorge ist hier groß und eben wenig theoretisch.

So haben die Seminaristen, die aus dem Catholic Centre ausziehen möchten, damit dort mehr Platz für dessen eigentliche Mission, zum Beispiel der Katechistenförderung oder der Ausbildung der Rosenkranzgruppen ist, entschieden, sich mit ihren eigenen Händen ein neues Zuhause zu bauen. Nachdem ihnen die Stadt ein Stück Land zur Verfügung gestellt hatte, und alle Angebote von Baufirmen unbezahlbar waren, begannen sie, Steine zu besorgen und eine Mauer um ihr Land zu bauen. Danach haben sie eine Straße angelegt. Inzwischen ist das erste der Häuschen fertig. Es soll Heimat für drei Priesterstudenten werden. Elisabeth freut sich sehr über diese Entwicklung. Nicht nur, weil sie glaubt, dass die anstrengende körperliche Arbeit den jungen Männern (und ihrem Rektor, Vizerektor und Spiritual) nicht schadet, sondern auch, weil sie mehr Platz haben möchte. Wenn die Katechisten zu Besuch kommen, müssen sie derzeit in einem Schlafsaal für Frauen und einem für Männer wohnen.

Elisabeth ist es wichtig, dass Ehepaare sich Zimmer teilen und sich in ihrer Oase erholen können. Außerdem möchte sie mehr junge Menschen erreichen, um mit ihnen zum Beispiel Rosenkranzgruppen zu beginnen. Denn diese Gruppen verändern das Leben der Jungen. So berichtet Michael, der mit seinen Freunden jeden Tag den Rosenkranz betet: „Der Ort, von dem ich komme, ist bekannt für Drogen, Prostitution und Diebstahl. Ich habe in der 10. Klasse das Neokatechumenat kennengelernt. Meine Freunde waren alle drogenabhängig. Ich weiß nicht genau, was passiert ist. Aber Stück für Stück habe ich mein Leben geändert. Heute sind viele meiner alten Freunde im Gefängnis. Ich gehöre eigentlich nicht an diesen schönen Ort. Aber ich bin hier. Und dafür danke ich Gott.“

Die Herzen der Menschen

Es sind diese kleinen, in Anbetracht der Not der Welt, eher unscheinbaren Geschichten Einzelner, die Elisabeth Gstaltmeyrs Engagement erklären. Fragt man sie, was ihr größter Traum ist, ihr höchstes Ziel und innigstes Anliegen, wird sie einem sagen: „Gott wieder in die Herzen der Menschen zu bringen, ist das Gigantischste, was man tun kann.“ Und so tut die kleine 80-jährige Missionarin tagein tagaus ohne viel Aufhebens um ihre Arbeit zu machen, eben das Gigantischste. 

„Mein Alltag ist sehr einfach: Wir treffen uns in der Früh und beten die Laudes mit 15 Minuten stillem Gebet. Nach einem Kaffee besprechen wir, was zu tun ist und bereiten die diversen Treffen im Team gemeinsam vor. Nach dem Mittagessen und einer Pause gehen wir zusammen in eine Pfarre. Oder die
Brüder und Schwestern kommen hierher. Und dann hören wir zeitig auf, weil der Heimweg sonst zu gefährlich ist.“

Elisabeth Gstaltmeyr

Pin It on Pinterest