Wir müssen immer Wege finden, an das Gute im Menschen zu glauben.

Schwester Lorena Jenal

Retterin der Sündenböcke

Interview: von Katharina Hacker
7 min Lesedauer veröffentlicht am 26. December 2024

Sie ist praktisch eine der Einheimischen und wird trotzdem regelmäßig
von ihnen vertrieben. Schwester Lorena Jenal setzt sich für ein friedliches
Miteinander unter den Stämmen im Hochland von Papua-Neuguinea ein.

Verfolgung, Folter und Verbrennungen. Was sich anhört, wie Gräuel aus längst vergangenen Tagen, gehört in Papua-Neuguinea seit einigen Jahren beinahe wieder zum Alltag. Hexenjagden verbreiten im Hochland der Insel Angst und Schrecken unter den Menschen, besonders bei Frauen. Die gebürtige Schweizerin Lorena Jenal lebt nun seit mehr als vier Jahrzehnten auf Papua-Neuguinea. Die Baldegger Schwester kennt mittlerweile die Sitten, Gebräuche und zumindest eine der über 800 Sprachen des Landes. Das kommt ihr im täglichen Kampf gegen die Hexenverfolgung sehr zugute. Und spiegelt ihre große Liebe für das Land und seine Menschen wider.

In europäischen Medien wird kaum über Papua-Neuguinea berichtet. Wie geht es dem Land aktuell?

Im Moment ist Papua-Neuguinea in einer schlimmen Lage. Das ist auch der Grund, warum ich seit Mai in Europa bin. Gerade haben die nationalen Wahlen stattgefunden und Wahlen führen immer zu gewalttätigen Zwischenfällen. (Anm. d. Red.: 50 Menschen sind im Zuge der Wahlen ums Leben gekommen.) Grund ist auch ein anderer Zugang zur Politik, der sich von unserem unterscheidet. Dazu kommt noch die allgegenwärtige Korruption. Die Regierung und Unternehmen aus Russland und China bereichern sich an den Erdölvorkommen in unserer Provinz. Die Bevölkerung geht leer aus.

Was löst das bei den Menschen aus?

Vor allem die jungen Männer rutschen angesichts dieser Perspektivlosigkeit häufig in Alkohol und Drogen ab. Und ein altes Problem, die Sippenkämpfe, könnte auch wieder entfacht werden. Im südlichen Hochland gab es seit über 20 Jahren keine solchen Auseinandersetzungen mehr. Seit ich 1979 nach Papua-Neuguinea kam, habe ich mich gemeinsam mit den Frauen für ein Ende der Sippenkämpfe stark gemacht. Und wir haben gewonnen…

Seit Jahren sorgen vermehrt  Hexenprozesse für Aufruhr, auch international. Wie sieht die Realität im Land aus?

Hexenjagden sind eine Art Ersatz für die Sippenkämpfe geworden. Ich glaube, dass da auch Internet-Pornografie und das Frauenbild eine Rolle spielen. Meinen ersten Fall erlebte ich 2012, vorher kannten wir das überhaupt nicht. Ich habe mit vielen Älteren in den Dörfern gesprochen und sie haben alle schockiert reagiert, weil sie so was auch nicht kannten. Mittlerweile habe ich 195 Frauen, die als Hexen angeklagt waren, aus den Händen ihrer Peiniger gerettet.

Warum werden die Frauen als Hexen verurteilt?

In allen Fällen geht es immer darum, dass die Leute einen Sündenbock suchen. Stirbt ein Kind oder hat jemand einen Autounfall – es muss eine oder einen Schuldigen geben, befindet die Dorfgemeinschaft. Selbst wenn wir eindeutig klären können, was die Todes- oder Unfallursachen waren, geben sich die Menschen damit nicht zufrieden. Oft trifft es dann Frauen, die den Männern sowieso ein Dorn im Auge sind, weil sie selbstbewusst und geschäftstüchtig sind und sich nicht dem traditionell patriarchalen System im Land unterwerfen.

Wie helfen Sie als Ordensschwester diesen Frauen?

Ich und mein Team werden normalerweise angerufen, wenn es in einem Dorf wieder einen Prozess gibt. Dann fahren wir dorthin und versuchen zuerst ein paar Informationen über die Verurteilte oder die Verurteilten – einmal waren es sieben Frauen gleichzeitig – einzuholen. Danach suche ich das Gespräch mit den Anklägern, den Folterern. Nicht selten setzten sie mir da ein Messer an den Hals oder die Waffe an die Brust. Das ist immer ein schwieriger Prozess. Wenn wir die Frauen befreit haben, bringen wir sie in Sicherheit. Viele brauchen intensive medizinische Versorgung nach der Folter. Da haben wir auch sehr schwere Fälle bis zur Hauttransplantation. Und die Opfer bekommen natürlich psychologische Betreuung. Meistens holen wir die Familie der Frau zu uns, denn auch diese ist in Gefahr.

Welche Rolle spielt die Kirche im Land und im Leben der Menschen?

Die Kirche ergreift Position. Sie stellt sich immer auf die Seite der Armen, der Frauen und der Kinder und verkündet die Botschaft Jesu. Ich versuche das in meiner täglichen Arbeit umzusetzen. Ich bin eine Stimme für die Frauen, wenn sie nicht mehr sprechen können. Ich bin aber auch Hoffnung für die Hoffnungslosen. Die Frauen, die ich rette, lernen, ihre Stimme wieder zu gebrauchen und legen dann Zeugnis ab, was wiederum alle ermutigt, die es hören. Und es stärkt mich in meinem Dienst.

Angesichts der vielen Herausforderungen, was wünschen Sie sich für Papua-Neuguineas Zukunft?

Meine Vision ist es, dass der Gewalt abgeschworen wird, dass es zur Versöhnung kommt, sich Männer und Frauen in der Gesellschaft besser ergänzen und so auch dieser ganze Hexenwahn wieder endet. Die Menschen haben so ein großes Potential durch ihre sprachliche Vielfalt und ihre große Beziehungsfähigkeit. Ich erlebe das in Bibelrunden oder bei liturgischen Feiern. Da sind so viele Schätze verborgen. Gelänge das alles, wäre es der Beginn des Himmels auf Erden. Alles, was wir machen, machen wir für eine bessere Zukunft, für das Reich der Liebe, das nie vergeht. ●

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